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- Das Haus der kalten Herzen

- Das Haus der kalten Herzen

Titel: - Das Haus der kalten Herzen
Autoren: Sarah Singleton
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unsicher. »Ich hoffe, es geht euch gut.«
    Ziemlich schäbig und gealtert sah er aus. Sein weißes Hemd und die Krawatte waren schmutzig und mit Flecken übersät und auf seinem Jackett waren dunkle, abgegriffene Stellen. Das Haar hing in unordentlichen schwarzen und grauen Strähnen herunter. Er setzte sich und starrte die Mädchen an wie Fremde, an deren Namen er sich nicht erinnern konnte.
    »Mercy, Charity«, sagte er schließlich. Galatea stellte sich neben ihn. Sie sah wie immer seltsam aus. Hässlich vielleicht. Und dann auch wieder nicht. Vielleicht kam es Mercy nur so vor, weil sie so streng und unnachgiebig war. Ihre Haut war trocken und spannte, die Nase war groß, die Stirn hoch und das kastanienbraune Haar hatte sie straff nach hinten gebunden.
    Während sie auf Schelte wartete, starrte Mercy auf die scharfen Spitzen von Galateas Stiefeln. Langsam hob sie ihren Blick bis zum Saum des schlichten schwarzen Gouvernantenkleides. Dann höher hinauf zum Rock, der Wespentaille, ihren knochigen schmalen Schultern und – zum Schluss – ihrem Gesicht.
    »Sag deiner Gouvernante Guten Tag, Mercy«, sagte Trajan.
    »Guten Tag«, piepste Mercy.
    »Guten Tag, Galatea«, sagte Charity in schmeichelndem Ton. Sie neigte den Kopf zur Seite und lächelte. Mercy rutschte unruhig auf ihren Füßen herum, sie brannte darauf, mit ihrem Vater zu sprechen, wusste aber nicht, was sie ihm sagen sollte. Sie war sehr schüchtern, besonders wenn Galatea sie überwachte. Aber sie sehnte sich danach zu reden, zu erfahren, wo er gewesen war, womit er sich gerade beschäftigte und warum er sie heute hatte sehen wollen. Auch Galatea schaute Trajan erwartungsvoll an. Er räusperte sich.
    »Mercy, Charity«, sagte er. »Ich habe ein Anliegen. Eine Sorge. Seht ihr, ich fürchte, das Haus ist Störungen ausgesetzt. Das könnte zu einem Problem für uns werden.« Er redete umständlich.
    »Was willst du damit sagen, Vater?«, fragte Charity unbekümmert.
    »Eine Störung«, wiederholte er, vergeblich nach dem richtigen Wort suchend. »Ich möchte, dass ihr euch vorseht. Auf der Hut seid.«
    »Auf der Hut wovor?«, wollte Mercy wissen.
    »Vor diesem und jenem … vor Seltsamem. Vor dem Unerwarteten.«
    Mercy zog die Stirn kraus. Sie dachte an das Schneeglöckchen und den Geist. Vermutlich waren das die unerwarteten Dinge, von denen ihr Vater redete. Wie konnten sie gefährlich sein?
    Die Gouvernante und die beiden Mädchen warteten darauf, dass Trajan weiterredete, aber stattdessen hustete er nur, bohrte die Hände in seine Taschen und wandte sich bereits wieder zum Gehen.
    »Vergesst nicht, was ich euch gesagt habe«, sagte er. »Wenn euch etwas bedrückt, kommt zu mir und erzählt es mir.« Er griff bereits nach dem Türknauf.
    »Wo können wir dich finden?«, rief Mercy.
    Trajan runzelte die Stirn. »Oh, mal hier, mal da«, sagte er mit einer vagen Handbewegung. »Im Haus.« Dann war er weg.
    Einen Augenblick lang blieben die Mädchen und die Gouvernante schweigend stehen. Mercy wusste nicht, was sie von der Warnung halten sollte.
    »Nun«, sagte Galatea schließlich. »Heute ist es hier drinnen sehr kalt. Wollen wir uns nicht einen wärmeren Ort zum Arbeiten suchen?«
    »Das Spielzimmer«, krähte Charity. »Oder die Küche.«
    »Das Spielzimmer scheint mir geeignet«, sagte Galatea. »Die Küche überlassen wir lieber Aurelia, denke ich. Charity, gehst du voran?«
    Sie übten lateinische Verben, und danach unterrichtete Galatea sie im Italienischen, das Mercy gut lesen, aber schlecht sprechen konnte. Später aßen sie dann Hirschpastete mit Lauch und Kohl und frisches Brot, das noch ofenwarm war. Ausnahmsweise aß Charity mit gutem Appetit, doch Mercy wurde von seltsamen Gedanken verfolgt, sie dachte an ihren Vater, das Schneeglöckchen und den Geist im Teich. Sie wollte, dass das Leben so weiterging wie vorher, vor der Störung.
    Sobald die Mahlzeit vorüber war, machte sich Mercy zu ihrem üblichen Spaziergang in den Gärten auf, dann lasen Charity und sie vor dem Kamin. Danach aßen die Mädchen mit Galatea und Aurelia in der Küche zu Abend, und als die Mahlzeit beendet war, ging Mercy auf ihr Zimmer, zog die Vorhänge zu und schloss die Tür. Sie kuschelte sich mit ihrem Lieblingsbuch ins Bett, einem Märchen. Die Tochter des Zauberers hieß es. Auf der Titelseite stand ihr eigener Name unter einem anderen, dem ihrer Mutter. Thekla Arcadius Verga. Arcadius war der Mädchenname ihrer Mutter. Ihr Vater hatte gesagt, sie hätten für
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