Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)

Titel: Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Autoren: Jürgen Todenhöfer
Vom Netzwerk:
Prolog
    Die Fahrt nach Brega
    Montag, 14. März 2011, 14 Uhr.
    Auf einer Wüstenstraße fahren wir in unserem silbergrauen Hyundai Richtung Brega. Wir – das sind mein 54-jähriger libyscher Gastgeber Abdul Latif, der 21-jährige dunkelhäutige Libyer Yussuf, die 30-jährige deutsche Videojournalistin Julia Leeb und ich. Unser Ziel ist die kleine libysche Ölstadt Brega. Sie liegt rund 200 Kilometer südwestlich von Bengasi. In Bengasi hatte vor vier Wochen die Revolution begonnen. Drei Tage später hatten Gaddafis Truppen die Stadt verlassen und sich Richtung Brega zurückgezogen. Jetzt ist angeblich auch Brega befreit.
    Die Farbe des Himmels hebt sich kaum vom Grau der Wüste ab. Immer wieder wirbelt der Wind die Sandkörner meterhoch auf und peitscht sie gegen die Windschutzscheibe. Die Landschaft wirkt unwirtlich, abweisend. Nirgendwo ein Zeichen von Leben.
    Doch die Stimmung im Auto ist fast überschwänglich. Wo Abdul Latif ist, herrscht gute Laune. Seine Herzlichkeit verzaubert alle Menschen. Seit er vor drei Tagen im regnerischen Tobruk sein Haupt mit den wallend weißen Haaren lachend durch das Fenster unseres Autos steckte, nenne ich ihn »my smiling hero – meinen lächelnden Helden«. Ich hatte ganz vergessen, dass es so positive Menschen gibt.
    Heute ist für Abdul Latif ein besonderer Tag. Er ist nicht nur berauscht vom Hochgefühl der arabischen Revolution. Er freut sich auch spitzbübisch, dass er den Rebellenführer der Region Adschdabiya/Brega, General Suleiman Mahmoud, überlistet hat. Der kahlköpfige Mann mit dem grauen Bismarck-Schnauzer hatte Julia und mir einen langen Vortrag über Clausewitz und Rommel gehalten. Als er erfuhr, dass ich Rommels Sohn mehrfach getroffen hatte, leuchteten seine Augen. Doch dann erklärte er umso entschiedener, eine Weiterfahrt nach Brega komme nicht infrage. Da sei gestern noch gekämpft worden. Menschen, die die Rommel-Familie persönlich kannten, seien für solche Abenteuer »viel zu wertvoll«. Er war stolz auf diese merkwürdige Begründung.
    Für mich war die Fahrt nach Brega damit erledigt. Ernüchtert waren wir in Abdul Latifs Auto gestiegen und hatten von der Entscheidung des Clausewitz-Generals berichtet. Als Abdul Latif unsere Enttäuschung sah, blitzten seine Augen schalkhaft.
    Er wusste längst, wie er uns nach Brega bringen würde. Während er auf uns gewartet hatte, hatte ihn Yussuf, ein junger Libyer, gefragt, ob er nach Brega mitkommen könne. Er habe dort Familie. Er wisse einen Schleichweg durch die Wüste. Sicherheitshalber hatte Yussuf auch noch bei seiner Familie angerufen. Sie hatte bestätigt, dass die Ölstadt frei sei. Das Gleiche hatte ein langes Telefonat Abdul Latifs mit einem seiner besten Freunde in Brega ergeben.
    Die Truppen Gaddafis, die die Stadt tagelang besetzt hatten, waren demnach abgezogen. Wir würden die Möglichkeit erhalten, mit Libyern zu sprechen, die die Besetzung erlebt hatten. Die schildern konnten, ob die Berichte der Medien über Massenerschießungen und Massenvergewaltigungen zutrafen. Die darlegen konnten, was Dichtung und Wahrheit war. Abdul Latif weiß, dass es genau das ist, was ich herausfinden will.
    »Sie wissen doch, uns hält niemand auf«, lacht er. Dann singt er mit seiner rauchigen Stimme nicht ganz notenrein: »Yes, with a little help from my friends.« »Beatles«, sage ich. »Nein, Joe Cocker«, schmunzelt er. Er liebt Joe Cocker, Pink Floyd und Tangerine Dream.
    Ein Sandsturm kommt auf. Abdul Latif lehnt sich weit nach vorn, um die Piste nicht zu verfehlen. Trotzdem kommen wir immer wieder vom Weg ab und rattern durch holpriges Wüstengelände. Der Sturm legt sich, aber es bleibt düster. Yussuf fotografiert unablässig mit seinem Handy, obwohl kaum etwas zu sehen ist. Am liebsten macht er Aufnahmen von Julia.
    Plötzlich tauchen wie aus dem Nichts in der Ferne drei dunkle Punkte auf. Flimmernd nähern sie sich, werden größer, bedrohlicher. Da sie aus dem Gegenlicht kommen, können wir nicht erkennen, ob es Schützenpanzer oder mit Artillerie ausgestattete Pritschenwagen sind. Langsam, ihre Scheinwerfer auf- und abblendend, kommen sie auf uns zu. Im Irakkrieg hatten entgegenkommende blinkende Fahrzeuge immer höchste Gefahr bedeutet. Ihr Signal hieß: »Sofort Weg freimachen!« Wer nicht schnell genug reagierte, wurde weggeschossen. In den Hauptkampfjahren 2004 bis 2007 waren die Autobahnen des Irak gesäumt von ausgebrannten Fahrzeugen, deren Fahrer das zu spät verstanden hatten.
    Abdul
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher