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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben
Autoren: Anna Degen
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sich um und ging mit ihrem Kinderwagen wieder zum Haus zurück.
    Hanna setzte sich konsterniert auf die Bank am Gartenhaus. Was war denn jetzt schon wieder? Es war wahrscheinlich klüger, die Kleine von sich aus kommen zu lassen. Sie schloss die Augen und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen, den Düften und der Wärme hingegeben. Aber sie hörte jeden von Tanjas Schritten.
    Zögerlich kam das Mädchen durch den Garten herüber zu der Bank und setzte sich neben Hanna. Will war eingeschlafen, und Tanja drapierte ein Tuch sorgfältig so, dass er im Schatten lag.
    »Erzähl«, sagte Hanna. Jetzt wollte sie wirklich wissen, was hier los war.
    Die Stille dehnte sich. »Was denn?«, fragte Tanja schließlich.
    »Wo hast du so gut gärtnern gelernt?« Da kannte die Kleine sich aus, das würde sie etwas sicherer machen.
    »Bei meiner Mutter.« Tanja lehnte sich zurück und starrte auf ihre Füße. »Wir waren früher den ganzen Sommer im Garten, ach, eigentlich das ganze Jahr.« Sie klang wehmütig, als läge das schon Jahrzehnte zurück.
    »Wir auch, aber meine Geschwister und ich, wir haben uns vor der Gartenarbeit gedrückt, wo es nur ging.«
    »Nö, ich hab das schon immer gern gemacht. Ich hab schon als ganz kleines Kind mein eigenes Beet gehabt.« Tanja lachte leise auf. »Da hab ich zuerst Löwenzahn gezogen.«
    »Na, da wird deine Mutter aber begeistert gewesen sein. Unsere hätte uns jedenfalls was erzählt, wenn die ganzen Samen in ihre Rabatten geflogen wären.«
    »Meine Mutter nicht. Das Beet ist so schön gelb, hat sie gesagt. Und wir haben dann ›Löwenwolle‹ gesammelt und einen ganzen Sack mit Löwenzahnsamen voll gemacht.«
    Das ist doch eine wunderbare Idee, das Problem zu lösen, dachte Hanna. Da muss sie doch nicht so traurig schauen. »Deine Mutter ist wohl mächtig stolz auf dich und diesen Garten. Und dann hat sie auch noch so einen süßen Enkel. Freut sie sich darüber?«
    »Nein«, sagte Tanja schroff. Ihre Nase war ganz spitz geworden.
    »Was, nein?«
    »Nein, sie ist nicht stolz und froh, sie ist tot.«
    »Oh, das … das tut mir leid.« Hanna mochte es nicht glauben. »Aber du bist doch noch so jung!«
    »Sie ist bei einem Verkehrsunfall gestorben. Als ich elf war. Zusammen mit meinem Vater.« Tanja sah trotzig aus und verloren, und plötzlich begann sie zu weinen, immer heftiger und heftiger.
    Hanna nahm sie spontan in den Arm und streichelte sie und murmelte die einsilbigen Worte des Trostes: »Na komm, ist ja schon gut, ist ja schon gut.«
    Und Tanja ließ es zu, der Igel stellte seine Stacheln nicht auf.
    Als das trockene, stoßweise Schluchzen sich allmählich legte und Tanja sich lange und geräuschvoll in Hannas zerfleddertes Taschentuch geschnäuzt hatte, fragte Hanna sachlich: »Und wieso wohnst du jetzt hier?«
    »Ich kam damals zu Tante Doris. Die ist ganz anders als Mama, obwohl sie ihre Schwester ist. Ständig hat sie Geschichten mit Männern, und wenn einer sie mal wieder sitzen gelassen hat, dann säuft sie und jammert rum und ist zu überhaupt nichts mehr zu gebrauchen. Der hat es gar nicht gepasst, so ein Balg angehängt zu kriegen, aber sie ist meine einzige nahe Verwandte.«
    Tanjas Unterlippe zitterte. Sie starrte blicklos vor sich hin. »Hätten sie doch bloß diese Reise nicht gewonnen! Dabei haben sie sich so gefreut. Sie waren Lehrer, weißt du, und haben immer gespart und gespart, weil sie bauen wollten. Und dann haben sie diese Reise gewonnen, nach Florenz. Ab Flughafen München. Und auf der Autobahn …«
    Hanna nahm sie wieder in den Arm. Nach einer Weile sagte sie: »Und weiter?«
    »Ach, ab da ging irgendwie alles schief. Erst bin ich in der Schule sitzen geblieben. Dabei war ich vorher eigentlich gut. Dann wollten meine Freundinnen nix mehr von mir wissen. Und dann …«
    Tanja kaute an einem Fingernagel. »Na ja, die sollten sich halt wundern, was ich anhab und so … Jaa, ich weiß, das war Scheiße, okay, okay!«
    Will maunzte ein bisschen, weil die Sonne inzwischen in seinen Kinderwagen schien. Sofort stand Tanja auf und drehte den Wagen in den Schatten.
    »Natürlich bin ich irgendwann beim Klauen erwischt worden, und dann kam eine Sozialarbeiterin und maulte Tante Doris an von wegen Vernachlässigung ihrer Erziehungspflichten, und dann wurde es ganz schrecklich. Sie hat auf streng gemacht und mich geschlagen und wegen jedem Scheiß eingesperrt. Aber wirklich ausgeflippt ist sie, als sie gemerkt hat, dass ich schwanger bin. Sie kann nämlich keine
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