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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben
Autoren: Anna Degen
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Kinder mehr kriegen, weil bei ihr mal eine Abtreibung schieflief. Sie hat geschrien und getobt, ich käme in ein Heim für Schwererziehbare und man würde mir sofort das Kind wegnehmen und zur Adoption freigeben. Sie hat auf mich eingeprügelt und wollte mir einen Stuhl in den Bauch stoßen. Auf meinen Bauch hatte sie es richtig abgesehen, auf den hatte sie eine entsetzliche Wut. In der Nacht bin ich fort.« Sie schwieg trotzig. »Und ich geh da auch nie mehr zurück! Nie mehr.«
    Hanna hatte mit wachsender Empörung zugehört. »Wie alt bist du, Tanja?«
    »Fast achtzehn.«
    »Dann bist du doch sowieso bald volljährig!«
    Tanja lächelte, ein kleines verzerrtes Lächeln, das Hanna in der Brust wehtat.
    »Wann bist du denn weg von zu Haus?«
    »Das war letztes Jahr im November.«
    »Im November? Und was hast du dann gemacht?«
    »Ich bin in unser Gartenhaus gegangen, das von meinen Eltern, oben am Paradiesweg. Weil im Winter geht Tante Doris da nie hin.«
    »Aber wovon hast du denn gelebt? Du brauchst doch Essen und Babykleider und so etwas?«
    Plötzlich spürte Hanna das Schneckenhaus wieder, die harte Schale, die Tanja sich als Schutzpanzer zugelegt hatte. Tanja rückte ein Stückchen von Hanna ab und hob die Schultern. Doch dann drehte sie den Kopf, sah sie an und beschloss offenbar, ihr zu vertrauen.
    »Ich bin ziemlich gut im Organisieren«, sagte sie mit flacher Stimme. »Auf eine Frau mit Kinderwagen passt man nicht so auf.«
    Na super. Eine Diebin. Doch Hanna bemerkte, dass diese Erkenntnis ihre wachsende Sympathie für Tanja nicht beeinträchtigte. »Ach so?«, murmelte sie nur.
    »Und Kleider kriegt man bei der Caritas, und beim Sperrmüll findet man jede Menge Zeug.« Und mit einem zufriedenen Nicken fuhr sie fort: »Die Tücher in meinem Zimmer lagen beim Karstadt im Hof rum, als die umgebaut haben. Achtmal bin ich in der Nacht zwischen dem Grünen Markt und hier hin- und hergelatscht, bis ich die alle im Kinderwagen hergebracht hab.« Sie war sichtlich stolz auf ihr Organisationstalent, und das konnte sie unter den gegebenen Umständen wohl auch sein. Aber dann fügte sie bitter hinzu: »Und jetzt ist alles für die Katz!«
    »Wieso? Was meinst du damit?«
    »Als ich hierher gekommen bin – also, ich wusste, dass ich nicht ewig in unserm Gartenhaus bleiben konnte. Im Sommer ging Tante Doris immer mit ihren Lovern dorthin. Auch wenn sie jetzt die Wohnung für sich allein hatte, ohne mich Störenfried, wer weiß, was sie vorhatte. Und wenn die mich findet, dann kannst du hinterher mit mir den Boden bohnern. Weil, na ja, als ich damals wegging, da hab ich ein paar von ihren Sachen mitgenommen, warme Pullover und so, ich selbst hatte ja fast nix, und hundertfünfzig Euro, die sie im Küchenbüfett versteckt hatte. Sie hat mich zwar offenbar nicht vermisst gemeldet, ich hab jedenfalls nirgendwo ein Plakat gesehen. Das war ihr wohl zu gefährlich, wegen irgendwelcher Fragen vom Jugendamt vielleicht. Aber sie ist bestimmt gigantisch sauer auf mich. Ich weiß, was mir blüht, wenn sie mich erwischt. Das heißt, ich musste rechtzeitig fort aus dem Gartenhaus und mir was anderes suchen. Und auf einer meiner Touren … Ach entschuldige, ich quatsche und quatsche. Ich hab schon so lang mit niemand mehr geredet. Aber ich will dich nicht aufhalten.«
    »Du hältst mich nicht auf. Erzähl weiter. Wie bist du hierher gekommen?«
    »Na ja, irgendwann kam ich mal hier vorbei, und da ging die alte Frau über die Brücke, und die schleppte sich so mit ihren Einkäufen ab. Ich nix wie hin, auf solche Sachen bin ich immer scharf, weil man kriegt oft gute Trinkgelder. ›Darf ich Ihnen helfen?‹, frag ich in meiner höflichen Art. Aber sie guckt nur ganz misstrauisch, und als ich meine Hand ausstreck, um ihr die Tasche abzunehmen, zuckt sie erst zurück. Aber vielleicht war sie zu müde oder der Kinderwagen mit Baby hat sie beruhigt, jedenfalls lässt sie mich die Taschen in den Wagen laden und heimfahren. Ich trag ihr das Zeug rauf in den ersten Stock. Aber dann hat sie so getan, als wär ich nicht mehr da. Ich bin noch so ein bisschen rumgestanden und hab gedacht, jetzt könnt sie mir doch was geben.«
    »Sie hat dir kein Trinkgeld gegeben?«
    »Nein. Also hab ich versucht, mit ihr zu reden, und frag sie, ob sie allein in dem Haus wohnt, weil das irgendwie völlig leer aussah. Aber sie hat keinen Ton gesagt, und ich hab geglaubt, sie ist schwerhörig oder was. Sie ist in der Küche rumgeschlurft und hat ihre Taschen
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