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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben
Autoren: Anna Degen
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mit«, sagte sie zu Tanja. »Wer weiß, ob wir nicht noch mal ins Haus müssen, wenn die Polizei hier fertig ist.« Die kleine Tür in der Gartenmauer war unter dem wuchernden wilden Wein kaum zu sehen, und Hanna ordnete die Ranken so, dass es aussah, als hätte schon lange niemand mehr diese Tür benützt.
    Sie schoben ihre Gefährte den Fußweg am Nonnengraben entlang. Der Kran vor dem alten Lagerhaus auf der andern Seite des Kanals schwieg vergessen vor sich hin. Keine Lastkähne mehr weit und breit, keine schwitzenden Hafenarbeiter, keine Flüche – nur sich spiegelnde Bäume, Moos an den Kaimauern, ein einsamer Schelch an einem Seil, Frosch- und Vogelgesang. Kurzer Friede.
     
    Tante Kunigunde erwartete sie, aufgebaut wie ein General, am unteren Eingang ihres Hauses an der Oberen Brücke. Fünf Stockwerke hatte das schmale Haus auf der Seite zum Kanal hin, wie ein mittelalterlicher Brückenturm. Auf der Oberen Brücke dagegen, wo der Haupteingang in den dritten Stock des Hauses führte, sah es aus wie ein netter kleiner, schiefer Barockbau. Tante Kunigunde umarmte ihre Nichte. Dann sah sie kurz und prüfend Tanja an und streckte ihr mit einem sehr abwartenden Lächeln die Hand hin.
    Tanja wirkte plötzlich verlegen. »Guten Tag, ich bin Tanja Steinhübel. Vielen Dank, dass Sie mich aufnehmen wollen«, sagte sie artig. Und fügte hastig hinzu: »Bis ich was gefunden hab.«
    Die Situation änderte sich schlagartig, als Tante Kunigunde sich über den Kinderwagen beugte. Will sah sie mit seinen großen blauen Augen an, krähte begeistert, lächelte über alle Grübchen und streckte ihr die Ärmchen entgegen. Kein Fremdeln, kein Abwarten – es war Liebe auf den ersten Blick, das war die Frau seines Lebens. Tante Kunigunde nahm ihn vorsichtig aus dem Wagen und barg ihn an ihrem umfangreichen Busen. Ihr Lächeln ging auf wie ein Hefekuchen.
    »Kommt rein, kommt rein«, rief sie, »ich habe eine Kleinigkeit zu essen vorbereitet, das kann nie schaden.«
    In ihrer sonnendurchfluteten schiefwinkligen Küche standen belegte Brote auf dem Tisch, und unter der Haube wartete die dicke silberne Teekanne.
    »Tante Kunigunde, du bist die Größte! Darf ich schnell dein Bad benutzen?« Hanna musste den Ekel, den sie aus dem Haus am Nonnengraben mitgebracht hatte, loswerden, bevor sie essen konnte. Sie kam sich vor, als hätte der Gestank des Todes ihre Haut mit Schleim überzogen.
    Nachdem sie lang und heiß geduscht und sich minutenlang die Zähne geputzt hatte, ging es ihr besser. Und als sie eines der leckeren Brote gegessen hatte, fühlte sie sich fit genug, um Benno Berg gegenüberzutreten.

3
    Benno Berg saß an seinem Schreibtisch in der Staatsanwaltschaft und kämpfte sich durch die Akten über die russischen Rauschgiftdealer, die die Bamberger Polizei gerade verfolgte. Er versuchte, sich zu konzentrieren, aber immer wieder geriet ihm eine Flut wilder roter Haare zwischen die Seiten. Er hatte die Besitzerin dieser Haarpracht, Hanna Tal, vor zwei Wochen kennengelernt – genau gesagt vor sechzehn Tagen, zwölf Stunden und dreißig Minuten. Sein Freund, Kriminalhauptkommissar Werner Sinz, hatte ihn zu einer Party bei seiner neuen Freundin Katja mitgenommen. Dort war Benno im wahrsten Sinn des Wortes »aufgegabelt« worden.
     
    In Katjas kleiner Wohnung herrschte ein unbeschreibliches Gedränge, und am schlimmsten war es rund um den Tisch mit dem kalten Büfett. Die Leute standen so dicht, dass er schließlich in seiner Not – er war den ganzen Tag noch nicht richtig zum Essen gekommen – mit der Hand durch die Menschenmauer nach der letzten verbliebenen dicken Scheibe kalten Bratens angelte. In diesem Moment erwischte ihn eine Gabel, die es ebenfalls auf diesen Braten abgesehen hatte. Sie rutschte zwar seitlich von seiner Hand ab, hinterließ jedoch einen roten Streifen, aus dem ganz langsam winzige Blutströpfchen drangen. Das war der Anfang.
    Benno entdeckte ein Paar erschrockene, aber auch lachbereite dunkle Augen. Eine sehr attraktive Frau schaute ihn entschuldigend an. Das veranlasste ihn, mit der instinktiven Geste des Jägers, der seine Beute anbietet, das Fleisch auf ihren Teller zu legen. Aber die Zivilisation holte ihn sofort ein – es war ihm peinlich. O Gott, dachte er, ich habe den Braten mit der Hand angefasst, das ist ihr sicher eklig. Doch sie schien nichts dabei zu finden. Sie lächelte und bedeutete ihm mit den Augen, ihr in ein Nebenzimmer zu folgen, das nicht ganz so übervölkert war. Sie ging vor
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