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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben
Autoren: Anna Degen
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erschrocken an.
    »Oh, hallo«, sagte Hanna. »Entschuldigung, dass ich hier einfach so hereinplatze. Die Haustür ging von selbst auf.«
    »Sind Sie von der Polizei?« Das Mädchen legte schützend einen Arm um ihr Kind.
    Hanna lachte und sagte: »Seh ich so aus? Nein, ich bin hier, weil ich einen Artikel über das Haus schreiben soll. Wohnst du hier?«
    »Gehen Sie weg!«, sagte das Mädchen.
    Warum reagierte die Kleine so verängstigt? Hanna lächelte besonders lieb. »Ist das dein Kind? So ein süßer Wurm!«
    Sie schaute hingerissen auf das Baby hinunter. Wirre schwarze Haare standen von seinem Köpfchen ab. Es nuckelte ungerührt an der Brust seiner Mutter, und eines seiner Händchen lag vertrauensvoll auf ihrer zarten weißen Haut. Wie rührend die Hände eines Säuglings sind, dachte Hanna, die vollendeten Fingernägel, so zart und scharf, die Grübchen anstelle hervorstehender Erwachsenenknöchel, winzige perfekte Instrumente.
    »Ist das ein Junge?«, fragte sie. »Wie heißt er denn?«
    Das grüne Mädchen blieb misstrauisch, aber ihr Stolz gewann die Oberhand. »Will. Wie sein Vater. William Shandy.« Sie sah ihr Kind mit einer so intensiven Zuneigung an, dass Hanna ganz flau wurde im Magen. Es war nicht Neid, der sie durchflutete, aber eine große Woge von Selbstmitleid. Da saß dieses Kind – wie alt mochte sie sein? Sechzehn oder siebzehn Jahre vielleicht – mit seinen grünen Haaren und diesem Riesenschatz von Mutterliebe, neben dem Hanna sich vorkam wie eine Bettlerin. Eine Bettlerin mit einem Sack voller Enttäuschungen.
    »Shandy?«, fragte sie. »Ist das sein Nachname?«
    »Nein, der zweite Vorname. Tristram Shandy war Wills Lieblingsbuch.«
    »Ist er denn gestorben?«
    »Warum?«, fragte das Mädchen verwirrt.
    »Weil du gesagt hast, ›war‹. Es ›war‹ Wills Lieblingsbuch.«
    Sie hatte die falsche Frage gestellt. Die Tür, die sich durch Hannas Bewunderung für das Kind etwas geöffnet hatte, fiel wieder zu.
    »Ich weiß nicht, was mit ihm ist.«
    Hanna wollte den Faden nicht abreißen lassen. »Und wie heißt du?«
    »Tanja«, murmelte die Kleine mürrisch.
    »Ich heiße Hanna.« Einen Versuch war es noch wert. Sie sah sich im Zimmer um. »Toll hast du das hergerichtet, richtig gemütlich.« Sie trat an das hintere Fenster und sah hinaus in den Garten. Und vergaß alles andere. Da draußen lag ein Stück vom Paradies. Rosen in den verschiedensten Farben leuchteten vor Efeu und Weinlaub. »Oh, das muss ich mir ansehen«, sagte Hanna und war schon durch die Tür.
    Im Hof ihres Häuschens, vom Vorgänger mit einer massiven Betonschicht befestigt, hatte sie jede Menge Töpfe aufgestellt, aber sie träumte schon lange von einem richtigen Rosengarten. Jetzt stand sie überwältigt inmitten der Pracht und schaute und saugte den Duft ein und hörte das Summen der Insekten und spürte unter den Fingerspitzen die glatte Sanftheit einer Rosenknospe.
    »Ist das dein Garten?«, fragte sie über die Schulter.
    Tanja war ihr nachgekommen. Sie hatte Will in den Kinderwagen gelegt, über den hinweg sie Hanna beim Schauen beobachtete. Sie sah weniger abweisend aus als vorhin.
    »Na ja, meiner nicht direkt. Ich kümmere mich darum. Aber du hättest ihn mal sehen sollen, als ich vor einem halben Jahr hier ankam. Die reinste Wildnis.«
    Aha, sie sagte »du«! »Ein halbes Jahr …? Aber niemand kann doch … Das sind doch lauter alte Rosen?«
    »Das meiste Zeug war schon da, bloß halt überwuchert und voll Unkraut. Schau mal, den Kompostberg da hinten an der Mauer. Das war alles ich.«
    »Das hat sich aber gelohnt«, sagte Hanna voller Bewunderung. Sie wusste gar nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. »Das ist ja eine alte Roseland Star. Die gibt es doch gar nicht mehr! Und wie die riecht!« Dann entdeckte sie eine riesige Westerland, fast drei Meter hoch und voller orangegelber Blüten. »So viele Knospen bei der zweiten Blüte! Und sie sind ganz gesund. Wie machst du das bloß?«
    »Ich mach gar nix. Das war schon so. Ich glaub, die Pflanzen schützen sich gegenseitig.«
    Hanna lächelte. »Du scheinst einen grünen Daumen zu haben. Bist du Gärtnerin oder so was?« Kopfschütteln. »Bist du hier angestellt?«
    Tanja scharrte mit ihrem Schuh im Sand auf dem Gartenweg.
    »Nicht direkt. Ich wohn hier und dafür mach ich halt den Garten.«
    »Du wohnst hier? Und wer wohnt sonst noch hier?«
    Tanja zögerte. »Niemand.«
    »Niemand?«, fragte Hanna ungläubig. »Aber wem gehört denn das Haus?«
    Tanja drehte
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