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Irrfahrt

Irrfahrt

Titel: Irrfahrt
Autoren: Gerhard Grümmer
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    1. Kapitel
    Der Flottenverein
    Dieses Buch erzählt von drei Schulfreunden die unzertrennlich waren. Von ihren Klassenkameraden wurden sie «die drei» genannt.
    1939 saßen sie in der Obertertia des Realgymnasiums ihrer Heimatstadt. Diese lag mehrere hundert Kilometer von Deutschlands Küsten entfernt. Die meisten Einwohner kannten die Seefahrt nur vom Hörensagen, genau wie unsere drei. Die Freunde dachten sich die Seefahrt herrlich,genußvoll, erlebnisreich und großartig; sie träumten davon, als Kapitän auf großer Fahrt fremde Häfen und Länder kennenzulernen.
    Am 1. September marschierte die Wehrmacht in Polen ein.Die drei hörten aufmerksam die Nachrichten ab. Eine Landkarte, aus der Tageszeitung ausgeschnitten, lag vor ihnen auf dem Teppich. Als zwei Tage darauf die Kriegserklärungen Großbritanniens und Frankreichs erfolgten, setzten sie eine umfangreiche Beratung an. Eines war ihnen sofort klar: Innerhalb weniger Wochen würden sämtliche deutschen,Schiffe von den Weltmeeren verschwunden sein. Somit bot die Handelsschiffahrt als Berufsziel keinerlei Aussichten mehr.
    Der Krieg lenkte ihre Hoffnungen und Wünsche in eine andere Richtung. Wenn schon die Handelsschiffahrt ausfiel, wozu gab es den Krieg zur See? Offizier der Kriegsmarine wäre eigentlich viel besser als Kapitän auf großer Fahrt! Begeistert faßten sie den Entschluß, sich für die Offizierslaufbahn bei der Kriegsmarine zu bewerben.
    Doch ihre Begeisterung wich sehr bald nüchterner Betrachtung. «Wir sind erst fünfzehn», sagte Heinz Apelt, «frühestens in zwei Jahren können wir einberufen werden, und ehe wir an Bord eines Kriegsschiffes kommen, ist alles längst vorbei.»
    Auch Gerhard Gerber hatte Bedenken. «Bei der Marine erhält man nicht so schnell ein selbständiges Kommando. Die älteren kommen dann mit hohen Orden aus dem Krieg und sitzen uns überall vor der Nase. Jahrgang zwanzig müßten wir sein, dann wären wir vielleicht schon Leutnant zur See ... »
    «Das hat alles keinen Zweck», meinte Helmut Koppelmann, «an unserem Alter läßt sich nichts ändern. Carpe diem, sagt der Lateiner, nutze den Tag! Wenn wir uns jetzt schon gründlich umtun, verlieren wir auf den vielen Stationen der Ausbildung nicht unnötig Zeit.»
    Dieser Vorschlag fand einhellige Zustimmung. Von nun an waren die drei Freunde unablässig bemüht, ihre glanzvolle Laufbahn zur See vorzubereiten.
    Koppelmann beschaffte sich ein Buch über Unterseeboote. Als Autor zeichnete ein Fregattenkapitän namens Karl Dönitz. Dieses Buch ließ seinen Vorsatz reifen, UBoot-Kommandant zu werden. Die Vorstellungen der beiden anderen bewegten sich über Wasser, natürlich kam nur ein stattliches Schiff in Betracht, mindestens ein Zerstörer.
    Standardwerk ihrer Studien wurde die letzte Ausgabe von Weyers «Taschenbuch der Kriegsflotten». Nach einigen Wochen zähen Eifers kannten sie den Inhalt fast auswendig. Tonnage, Bewaffnung und Maschinenleistung aller möglichen Schiffstypen, die Dienstgrade und Hoheitszeichen ausländischer Flotten fragten sie sich gegenseitig ab, als wären es fremdsprachige Vokabeln. Für diese «Ausbildung» nutzten sie sogar die Pausen auf dem Schulhof. Daraufhin erhielten sie den Spitznamen «Flottenverein», mit deutlicher Anspielung auf eine Gründung des verblichenen kaiserlichen Großadmirals Tirpitz, die gerade im Geschichtsunterricht behandelt wurde.
    Der Weyer erschien ihnen viel wichtiger als Schulbücher. Sie empfanden es als Zumutung, weiterhin auf der Schulbank sitzen und sich mit Stoff abplagen zu müssen, der für Marineoffiziere völlig bedeutungslos war. Damit überschätzten sie die Tücken der Schule ebenso, wie sie die Tücken des Krieges zur See unterschätzten.
     
    Die Ambitionen der künftigen Seefahrer wurden von den Vätern überraschenderweise gutgeheißen, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen.
    Der Vater von Heinz Apelt war Arzt. Nach seinen eigenen Erzählungen hatte er es als Student ziemlich toll getrieben. Mehrere Narben im Gesicht zeugten von scharfen Mensuren. Schon im ersten Semester gewöhnte er sich das Biertrinken an und war nicht wieder davon losgekommen. Eine energische junge Dame, die ihn heiratete, verhinderte schließlich, daß er gegen Ende seiner Studienzeit vollends verbummelte.
    Dr. Apelts Befürchtung, der Sohn könnte sich dereinst in ähnlicher Weise entwickeln, hatte also durchaus reale Ursachen. Die harte Ausbildung bei der Marine bot in seinen Augen die beste Gewähr, daß aus dem
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