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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben
Autoren: Anna Degen
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ausgepackt und das Zeug in die Schränke gestellt. Als wär ich aus Luft. Da hab ich sie gefragt, ob ich für eine Weile hier wohnen könnt und ihr auch mal helfen, einkaufen oder so. Aber sie hat nur so eine Bewegung mit der Hand gemacht, wie wenn man eine Fliege verscheucht. Und ich hab gedacht … na ja, keine Ahnung, ich hab halt angenommen, das heißt, ich darf im Haus wohnen, wenn sie mich nur nicht zu sehen kriegt. Drum hab ich auch dieses Zimmer da hinten genommen und bin immer nur durch die Gartentür rein und raus. Am Anfang sah es da schrecklich aus, alles voll Spinnweben und Dreck und der halbe Putz war runtergekommen, aber allmählich wurde es ganz nett. Aber jetzt, ach, Scheiße!« Sie biss sich auf die Fingerknöchel, um nicht wieder zu weinen.
    »Was ist denn, Tanja, was ist denn los?«
    »Es ist etwas echt Scheußliches passiert, echt Scheiße. Und ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich tun soll.« Jetzt weinte sie doch. »Die alte Frau ist … sie ist … ach, verdammt, geh doch rauf und schau dir die Sauerei selbst an.«
    Als Hanna aufstand und sie fragend ansah, sagte sie stockend: »Aber sei … sei vorsichtig, es ist echt … voll krass.«

2
    In der Halle blieb Hanna zögernd stehen. Durch die Schlitze der geschlossenen Fensterläden fielen Lichtschranken voller Staub über die Treppe, als wollten sie sie am Weitergehen hindern. Hanna fingerte ein Taschentuch aus ihrer engen Jeans, hielt es sich vor Nase und Mund und atmete ganz flach, um möglichst wenig der verpesteten Luft in sich aufzunehmen. Dann stieg sie vorsichtig die Treppe hinauf. Die erste Tür, die sie oben öffnete, führte in einen Raum, der wohl ehemals als Salon genutzt worden war. Die gemalte Girlande aus Rosensträußen oben an den Wänden, der zierliche Stuck an der Decke und der eingelegte Parkettboden erzählten von Geschmack und Reichtum der einstigen Eigentümer. Doch jetzt war das Ganze ein wahllos vollgepfropftes Wohnzimmer, an dessen Stirnseite wie auf einem Altar der Fernsehapparat stand. Nippes umringte eine orange glitzernde Fernsehlampe; ein Nierentisch, eine mit alten Wolldecken schonbelegte Couchgarnitur und andere Möbelstücke füllten das Zimmer, bedeckt mit einer dicken Staubschicht. Alles wirkte ungeliebt und tot.
    Rechts führte eine Tür zur Küche. Hinter dieser Tür wartete ein Albtraum, weit schlimmer als alles, was sie sich je ausgemalt hatte. Am Küchentisch saß eine Frau in einem braunen Wollkleid. Auf den wirren grauen Haaren, dem nach hinten hängenden Kopf, den Händen, dem Stuhl, dem Fenster – überall krabbelten Fliegen. Als Hanna die Gestalt am Küchentisch entsetzt anstarrte, schien ihr plötzlich, als bewegte sich der Körper. Dann sah sie die Maden. Sie hielt den Atem an und schloss die Augen. Doch der Schock und der Gestank waren mehr, als ihr Magen vertragen konnte. Sie rannte auf der verzweifelten Suche nach dem Bad aus der Küche. Vergebens. Das, was sie im Gang hinterließ, machte die Szene nicht gerade appetitlicher. Hanna öffnete das nächste Fenster und lehnte sich hinaus. Die Luft draußen roch süß und sauber. Am liebsten wäre sie sofort in den Garten geflohen. Ihre Beine zitterten. Sie fühlte sich schwach und elend und lehnte sich blicklos gegen den Fensterrahmen. Allmählich verdichtete sich in dem dumpfen Aufruhr in ihrem Inneren die Überzeugung, dass die Frau keines natürlichen Todes gestorben war. Ihr Kopf hatte in so einem seltsamen Winkel nach hinten gehangen mit weit auseinanderklaffenden Zähnen wie in einem endlosen stummen Schrei.
    Hanna gab sich einen Ruck. Sie musste sich zusammenreißen. Sie musste die Polizei anrufen. Wo stand wohl das Telefon? Hanna holte noch ein paarmal tief Luft und kehrte in den Gestank zurück. Sie schob sich mit zusammengebissenen Zähnen durch die Küchentür, schaute sich rasch um und vermied dabei möglichst den Blick auf die Gestalt am Küchentisch. Doch weder hier noch im Wohnzimmer war ein Telefon zu entdecken. Hanna fand den Apparat schließlich am dunklen Ende des Flurs, ein Telefonfossil aus schwarzem Bakelit an der Wand. Aber wie sehr Hanna auch drückte und die Wählscheibe drehte, es war ebenfalls tot, es gab keinerlei Lebenszeichen von sich.
    Sie flüchtete schwankend die Treppe hinunter und durch den dunklen Gang hinaus in den hellen Garten, wo sie auf die Bank sank und dort eine ganze Weile mit geschlossenen Augen sitzen blieb. Sie hatte den Tod zu plötzlich getroffen, zu unvorbereitet …
    »Seit ich die Schönheit
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