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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33
Autoren: Martin Clauß
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    „Schwarze Gestalten hockten, lagen, saßen zwischen den Bäumen, lehnten sich an die Stämme, drückten sich gegen die Erde, vom fahlen Licht halb enthüllt, halb verborgen. Sie zeigten jede Ausprägung von Schmerz, Einsamkeit und Verzweiflung. (...) Sie starben langsam, das war klar. Sie waren keine Feinde, sie waren keine Verbrecher, sie waren jetzt nichts Irdisches mehr – nichts als schwarze Schatten von Siechtum und Hunger, die verwirrt in der grünlichen Finsternis lagen.“
    (Joseph Conrad: Heart of Darkness)
    .
    Es war ein Sturz aus den Vorhöfen ins innerste Heiligtum der Hölle.
    Amonke rutschte mit den Füßen voraus über die glatte Rinne, auf einen Wirbel aus violettem Chaos zu. Ihr schwarzer Körper war nackt, nackt und schweißüberströmt, und das machte ihn glitschig wie den eines Fisches. Sie wand sich auch wie einer. Die Füße, mit denen sie sich abzustemmen versuchte, fanden keinen Halt, glitten nutzlos über das Metall. Die Arme waren ihr hinter dem Rücken zusammengebunden worden, ihre Haare hatte man abgeschnitten ... und ihren Schädel mit sturer, mechanischer Hartnäckigkeit immer wieder rasiert. Wozu hatte man das getan? Um wunderliche Maschinen wie mit Saugnäpfen dagegen pressen zu können? Oder war es ein Ritual gewesen, das ihren Willen brechen sollte, das sie erniedrigte und zu einem Stück bebenden Fleisches machte?
    Es waren keine Menschen gewesen, die das getan hatten. Nicht einmal Wesen . Keine Götter, keine Dämonen, sondern eine ganze Maschinerie. Eine Welt aus fremden Geräuschen, fremden Farben und unmenschlichen, zuckenden Bewegungen hatte die zwanzigjährige Amonke verschluckt und Dinge mit ihr angestellt, von denen sie nicht den Anfang und nicht das Ende verstand.
    Irgendwann hatte sie aufgehört zu schreien, aus Protest gegen die unmenschliche Behandlung, die ihr widerfuhr. Aber die Schreie sammelten sich seither in ihrem Inneren zu einem dicken, pulsierenden Geschwür, von dem sie fürchtete, dass es in Kürze aufbrechen und seinen Eiter in ihren Körper ergießen würde. Bis sie daran erstickte.
    Am unerträglichsten war, dass sie bei all den Torturen ihren Verstand nicht verloren hatte. Nicht eine winzige Ecke davon war abgebrochen. Sie hätte ihn gerne hergegeben, für ein Nichts hätte sie ihn jedem verkauft, der ihn haben wollte, aber er klebte an ihr wie ein alter Kaugummi an einer Schuhsohle. Nichts zu machen. Warum war es so schwierig, in die rettenden Arme des Wahnsinns zu fliehen, wenn man es aus ganzem Herzen wollte?
    Das amethystfarbene Chaos, auf das die junge Yoruba zuglitt, zitterte vor Wut. Es brüllte wie ein Löwe und schnaubte wie ein Pferd, rollte wie der Donner und peitschte wie der Dschungel im Sturm. Es schien gefangen zu sein, in unsichtbaren Ketten zu liegen, denn wenn es sich drehte und wand, dann bewegten sich nur einzelne Teile seines Körpers, andere blieben an ihrem Platz.
    Sie versuchte in dem violetten Durcheinander einen Leidensgenossen zu sehen. Hatte man es nicht auch gefangengenommen? Litt es nicht wie sie? Das Chaos hatte menschliche Formen. Manchmal. Aber es warf auch Blasen und blähte sich auf wie ein Ding, das sterbend aus einer tiefen See emporschwebte.
    Noch wenige Meter. Die Neigung der Rutsche wurde etwas flacher. Flach genug, um ihren Sturz zu bremsen, aber nicht genug, um ihn zu stoppen. Gleich würde sie in das Gefäß fallen, in dem das Unheil brodelte. Sie krümmte sich, versuchte sich quer zu legen, in der Rinne stecken zu bleiben. Ihr geschorener Kopf rieb an Metall, und eine Stelle am Zenit ihres Kopfes wurde binnen einer Sekunde so heiß, dass es ihr die Tränen in die Augen trieb. Sie glitt auf ihrem Schweiß dahin wie auf einer Ölschicht.
    Jetzt! Die Rutsche endete. Wo eben noch hartes Metall gewesen war, gab es nun nur noch Leere. Sie wirbelte durch die Luft, tauchte in den Hexenkessel ein. Er war riesig, eine Welt für sich. Sie sah alles ganz genau. So fremdartig es sein mochte, so deutlich und klar bot es sich ihr doch dar.
    Um das Wesen herum lagen mehrere Schichten aus Feuer und Farbe, aus Schwingungen und Klängen, aus Düften und brennenden Gewürzen. Sie fiel in sie hinein, passierte sie eine nach der anderen. Manche dieser Schalen waren so körperlich, dass sie ihr einen leichten Schlag versetzten. Es fehlte nicht viel, und sie hätte sich daran festhalten können. Eine der Schichten blieb wie Schleim an ihrem Körper zurück, stinkend und schmierig. Ihr Körper darunter loderte in Flammen, wurde
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