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Falkengrund Nr. 33

Falkengrund Nr. 33

Titel: Falkengrund Nr. 33
Autoren: Martin Clauß
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Sie lud die Bestie ein. Das Ungeheuer hatte sie nicht gefressen, obwohl man sie ihm zum Fraß vorgeworfen hatte. Stattdessen hatte das Monster offensichtlich sein Gefängnis zerstört. Und ihr damit das Leben gerettet.
    Ein bestialisches Brüllen erhob sich noch hinter dem Bersten der Mauern, und sie begriff: Das Wesen konnte ihr nicht folgen. Irgendetwas hielt es weiterhin dort fest. Die Fesseln waren stärker als die Steine des Gebäudes. Mochte auch der ganze Komplex einstürzen – die Ketten aus Energie, aus Zauberei, blieben davon unbeeinflusst.
    Eine halbe Ewigkeit war Amonke durch die Luft geflogen. Der Schwung hatte ihres Sturzes hatte sie für lange Sekunden in einen Vogel verwandelt. Nun traf die Parabel ihrer vom Schicksal berechneten Flugbahn den Erdboden. Nach allem, was hinter ihr lag, kam der Aufprall mit nüchterner und gnadenloser Gewalt. Sie rollte, überschlug sich, ihr Skelett wurde geschüttelt, ihr Fleisch gequetscht, ihre Haut aufgeschürft. Staub wirbelte auf, ein Busch, der ihr im Weg stand, wurde von ihrer Wucht schlichtweg in seine Einzelteile zerlegt.
    Ein wimmerndes Stöhnen floss aus ihrer Kehle. Sie blieb in Bauchlage liegen. Ihr Gesicht, ihre Brüste schmerzten, und sie drehte sich auf den blutverklebten Rücken, schloss die Augen und öffnete sie erst wieder nach Minuten qualvollen Atmens, als sie sicher war, nicht an Ort und Stelle sterben zu müssen.
    Und das war ihre neue Welt:
    Ein bleicher Halbmond stand in einer riesigen, drohenden Sichel am Himmel. Heller als sein Licht waren die blauroten Lichtblitze, die aus dem zertrümmerten Gebäude in die Nacht sprangen. Doch sie wurden rasch schwächer, verkümmerten zu einem purpurnen Glosen. Schatten kleiner Tiere rasselten im Halbdunkel.
    Das Ding in ihrem Bauch war ruhig.
    Natürlich war es nicht tot. Seine Hülle – Amonke – hatte überlebt, also hatte es auch überlebt.
    Sie wünschte sich, ihr Lebenswille sei nicht so stark gewesen. Sie wünschte sich, sie hätte nicht nach der Stange gegriffen und sich nicht ausgerechnet durch die berstende Wand nach draußen gerettet. Warum hatten ihre Finger nicht abrutschen können, so dass sie in die Flammen stürzte und von den herabfallenden Trümmern erschlagen wurde? Dann hätte sie wenigstens Frieden gehabt.
    Was war geschehen?
    Nichts, was sie jemandem hätte erklären können.
    Sie war an einem magischen Ort aus Metall gefangen gewesen, und nun war sie frei, weil dort es dort einen anderen Gefangenen gab, der wütend geworden war. Wütend darüber, dass man ihm Amonke hatte opfern wollen.
    Ein Gott. Ein Engel.
    Vielleicht.
    Hatte er sie als Opfer verschmäht? War sie ihm nicht gut genug gewesen? Oder empfand er Mitleid mit ihr, wollte sie retten? Welcher Art war sein Zorn?
    Sie drehte sich zur Seite, kämpfte sich mühsam in eine sitzende Position. Stachelige Zweige steckten in ihrem Bauch. Sollte sie zurückgehen, das Wesen zu befreien versuchen? Es zerriss ihr das Herz, dass es weiter in Sklaverei bleiben musste, jetzt, wo die Maschine sie ausgespuckt hatte.
    Sie wischte sich das Blut aus den Augen. Die Savanne umgab sie. Schatten niedriger, schiefer Bäume, Gebüsch, dazwischen völlig kahle, wüstenhafte Stellen. Ein paar begrünte Hügel in der Ferne. Keine Anhaltspunkte. Würde sie auf ein Dorf stoßen, wenn sie geradeaus durch die Nacht lief? Die Wahrscheinlichkeit war gering.
    Amonke begann zu frösteln. Ihr Körper kühlte aus, die Wunden leckten mit stacheligen Zungen an ihr, die Nachwirkungen des Schreckens ließen sie zittern. Sie kam auf die Füße, doch ihr Oberkörper blieb gebeugt, die Hände an ihren langen Armen pendelten herab, schienen mitzulaufen, als sie in Schlangenlinien losging.
    Sie bewegte sich von dem Gebäude weg. Dorthin, wo die Bäume etwas dichter standen. Dort fühlte sie sich weniger verletzlich. Wasser. Sie brauchte Wasser. Musste trinken. Sich das Blut abwaschen.
    Die Dunkelheit bei den Bäumen lebte. Es war wie ein kleiner Dschungel, einige hundert Quadratmeter, eine grüne Insel, mehr nicht. Doch wer konnte schon sagen, was darin lauerte? Es war Raum genug für große und kleine Jäger.
    Offenbar waren sie weit von menschlichen Behausungen entfernt. Warum verspürte sie nicht die geringste Angst vor der Wildnis? Ganz gleich, was sie durchgemacht hatte – die Vorstellung, aus der Finsternis des Wäldchens heraus von einem Tier angegriffen zu werden, musste sie doch irgendwie berühren!
    Sie schlich auf das Gehölz zu. Nachtaktive Nager und
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