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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schüttelte den Kopf. »Daß der überhaupt noch lebt!«
    Die Arbeit ruhte nun völlig in der Halle. Es wurden nur noch Ohren gespitzt.
    Paul Müller lächelte in seiner Erinnerung. Er konnte sich zwar kaum mehr an diesen Onkel erinnern, wußte aber immerhin noch, daß es ein lustiger Mann gewesen war.
    Etwas skeptischer blickte Erna drein, als sie die Zeilen gelesen hatte.
    »Du hast mir von dem nie etwas erzählt«, sagte sie. »Wer ist denn der?«
    »Ein jüngerer Bruder meines Vaters. Wenn er zu Besuch kam, war immer etwas los. Mitgebracht hat er uns allerdings nie etwas, weil er ständig knapp bei Kasse war.«
    »Dann werdet ihr nicht gerade begeistert von ihm gewesen sein?«
    »Doch, doch, er hat's mit uns Kindern verstanden. Die Erwachsenen freilich …« Paul verstummte.
    »Was war da?« fragte Erna leiser. Es war ja nicht nötig, daß jeder alles mithörte, wenn das Gespräch brenzlig zu werden drohte.
    Auch Paul senkte seine Stimme.
    »Er galt als das Schwarze Schaf in der Familie. Der Ausdruck sagte uns Kleinen damals allerdings nicht viel.«
    Nun flüsterte Erna nur noch.
    »Schwarzes Schaf? Warum?«
    Unwillkürlich flüsterte auch Paul nur noch.
    »Er hatte von Kindesbeinen an Flausen im Kopf. Er war nicht so wie die anderen, verstehst du? Ein Außenseiter. Den letzten Beweis dafür lieferte er mit seiner Auswanderung.«
    »Was hat er denn gemacht?«
    »Wie gemacht?«
    »Beruflich.«
    »Er war Uhrmachergeselle.«
    »Auch in Amerika?«
    Paul zuckte die Schultern.
    »Weiß ich nicht. Er hat nie mehr etwas von sich hören lassen.«
    Nie mehr? Das konnte Erna gar nicht recht glauben.
    »Vielleicht ist es dir entgangen, daß er doch ein paarmal geschrieben hat?« sagte sie.
    »Kann sein.«
    »Oder du weißt das heute nicht mehr, nach so langer Zeit.«
    »Auch möglich.« Paul rieb sich die Nase. »Jedenfalls geriet er, wie das so geht, bei uns rasch in Vergessenheit. Es wurde nicht mehr über ihn gesprochen.«
    Eine kurze Pause entstand. Erna blickte auf das Schreiben, das sie immer noch in der Hand hielt. Ein leichter Vorwurf schwang in ihrer Stimme, als sie sagte: »Johann heißt er nicht mehr … Müller auch nicht.«
    »Das ist doch klar«, meinte Paul. »Der ist heute durch und durch Amerikaner.«
    »Er will bei uns wohnen«, sagte Erna nicht gerade begeistert.
    »Was denn sonst!«
    »Besonders weit scheint er es nicht gebracht zu haben.«
    »Wieso?«
    »Weil er sich sonst ein Hotel leisten könnte.«
    Damit hat sie recht, dachte Paul. Oder er könnte sich eines leisten, ist aber zu geizig dazu. In drei Jahrzehnten ändert sich ein Mensch oft gewaltig. Jedenfalls können wir ihm seinen Wunsch nicht abschlagen.
    »Es sind ja nur ein paar Tage, Erna. Platz haben wir genug für ihn.«
    »Darum geht's nicht, Paul. Kopfzerbrechen macht mir ein ganz anderes Problem.«
    »Welches?«
    »Er wird unsere Kost nicht mehr gewöhnt sein, und wir müssen ihn doch verpflegen.«
    »Wir werden mit ihm essen gehen.«
    »Im Lokal bekommt er auch nichts Amerikanisches.«
    »Steaks kriegt er überall.«
    »Und wenn ihm die zu teuer sind?« antwortete Erna, die nicht aufhörte, aus dem Ganzen ein Problem zu machen.
    »Dann lade ich ihn ein.«
    »Und was erreichst du damit? Daß er darin eine Verpflichtung sieht, sich zu revanchieren.«
    Nun verdrehte Paul die Augen.
    »Erna«, sagte er, »mach dich nicht verrückt, wir –«
    »Weißt du was?« unterbrach sie ihn.
    »Was?«
    »Ich werde doch kochen!« sagte sie entschlossen.
    Diese Frauen! dachte er. (Ehrlich gesagt, dachte er: Diese Weiber!) Warum nicht gleich?
    »Dazu brauche ich ein amerikanisches Kochbuch«, fuhr Erna fort. »Aber woher?«
    Das wisse er auch nicht, meinte Paul und war geneigt, sich an den Kopf zu greifen, als er Erna sagen hörte: »Schlimmstenfalls von der amerikanischen Botschaft in Bonn.«
    »Großer Gott!« rief Paul aus. »Das kann ja heiter werden!«
    Am gleichen Tag war auch in Bochum ein Luftpostbrief eingetroffen. Dort wohnte die vierzig Jahre alte, etwas vertrocknete, von Ischias geplagte Emma Kerbel, hockte in zwei Zimmern und nähte für bessere Damen schöne Kleider. Es war ein mühsames Gewerbe, seit das von Jahr zu Jahr bessere Angebot an Konfektionskleidung in den Kaufhäusern dem ganzen Berufsstand der Schneider und Schneiderinnen das Wasser bald völlig abzugraben drohte.
    Emma Kerbel kannte keinen Johnny Miller aus Amerika, freute sich trotzdem über den Brief, verband ihn mit einer leisen Hoffnung, obwohl sie nicht den geringsten Grund
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