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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Einen eigenen Hafen hat das Städtchen natürlich nicht, aber es besteht ein Lokalblatt, das mit drei jungen Reportern bestückt ist und noch druckfeucht meldet, wenn beim Optiker Rimselle nachts eingebrochen wurde oder ein Betrunkener eine leere Flasche aufs Pflaster warf, deren Scherben dem rechten Hinterreifen eines Autos aus Düsseldorf zum Verhängnis wurden. (Warum nicht auch – und sogar schon unmittelbar zuvor – dem rechten Vorderreifen, das pflegt Nachdenklichen ein Rätsel zu bleiben, mit dem sich zu beschäftigen das Lokalblatt leider versäumt.)
    Für das Seelenheil der Einwohnerschaft ist eine katholische Stadtpfarrei verantwortlich. Die wenigen Protestanten, die es gibt, bleiben auf Eigeninitiative angewiesen.
    Hier in Rheinstadt, in der Beschaulichkeit ungetrübten Bürgertums und noch keineswegs verunsicherter Besinnung auf das Alte und Gute, hatte der zweiundvierzigjährige Paul Müller seine Kunstschmiede aufgebaut. Er war aus Köln zugezogen. Zäh hatte er gegen das Mißtrauen gekämpft, das hier erstmal jedem Fremden entgegengebracht wird, hatte sich mit Beharrlichkeit, Fleiß und Können durchgesetzt und war so in die Gemeinschaft der Rheinstädter hineingewachsen. Sogar seine Frau Erna hatte auch schon Aufnahme in ein bürgerliches Kaffeekränzchen gefunden, sein siebzehnjähriger Sohn Karl war Lehrling im dritten Jahr bei einem Bäckermeister, und der kleine Willi fuhr jeden Morgen nach Xanten auf das Gymnasium, wo er sich in der Quinta mit Latein und Mathematik herumschlug.
    Die Kunstschmiede war untergebracht in einer glasüberdachten Halle am Rheinufer auf der Promenade. Das kleine, neue Wohnhaus hatte zwei große Fenster zum Strom hinaus und lag in einem gepflegten, schmucken Garten. Das Ganze ließ erkennen, daß die Familie Müller in geordneten, sauberen Verhältnissen lebte.
    Paul Müller stand gerade am Schraubstock und drehte einen Stahlstift, als Erna in die Werkstatt trat, in der Hand einen Brief. Fragend blickte Paul auf und legte das Werkzeug hin.
    »Was denn?« brummte er. »Eine Rechnung? Die hätte auch noch Zeit bis nach dem Essen gehabt.«
    Erna schüttelte den Kopf.
    »Keine Rechnung. Ein Brief aus Amerika.«
    »Aus Amerika?« Paul wischte sich die Finger an der Lederschürze ab und streckte die Hand nach dem Brief aus.
    Die Angestellten schielten zu ihm herüber und steckten die Köpfe zusammen. Der Alte hat 'nen Brief aus Amerika? Vielleicht ein Auslandsauftrag? Wäre gut für unsere Arbeitsplätze. Wenn ja, muß das ins Lokalblättchen.
    Die Tätigkeiten der Angestellten verlangsamten sich. Die Ohren wurden gespitzt. Vielleicht konnte man etwas aufschnappen von dem, was zwischen dem Chef und der Chefin gesprochen wurde.
    Paul Müller nahm den Brief und drehte ihn in den Fingern. Eine blaue Marke, Luftpost. Absender: Johnny Miller. Der Name der Straße war kaum zu entziffern, er klang absolut fremd; auf alle Fälle kam der Brief aus Chicago (USA), das konnte man gut lesen.
    »Miller«, sagte Paul Müller und zuckte die Schultern. »Kenne ich nicht … muß ein Versehen von der Post sein.«
    »Aber nein, Paul, sieh doch.« Erna zeigte auf die Adressenseite des Umschlags. »Herrn Paul Müller, Rheinstadt, Promenade, Bundesrepublik Deutschland.« Ernas Finger wechselte die Richtung, zeigte auf Pauls Brust. »Das bist einwandfrei du! Einen Paul Müller gibt's in der ganzen Stadt keinen zweiten mehr.«
    »Hm.« Paul kratzte sich am Kopf und betrachtete immer noch unschlüssig den Brief.
    »Mach ihn auf«, drängte Erna, längst ein Opfer ihrer Neugier.
    Vorsichtig riß Paul den Umschlag auf. Ein Blatt mit kurzem Text kam zum Vorschein. Die Zeilen waren in deutscher Sprache geschrieben, schmucklos und nüchtern:
    Mein lieber Neffe!
    Endlich ergibt es sich für mich, einmal nach Europa zu kommen. Als ich vor 32 Jahren auswanderte nach Amerika, warst Du, glaube ich, gerade 10 Jahre alt und hast für den großen Fritz Walter vom 1. FC Kaiserslautern geschwärmt. Ich möchte Dich wiedersehen und auch Deine Familie kennenlernen, die Du inzwischen sicher schon hast. Darauf freue ich mich. Ende September werde ich in Rheinstadt eintreffen. Kann ich eine oder zwei Wochen bei Dir wohnen? Ich hoffe, Du hast nichts dagegen. Viele Grüße
    Dein Onkel Johann
    »Mensch!« Paul Müller ließ das Blatt sinken und blickte in höchstem Erstaunen seine Frau an, die ihm rasch den Brief aus den Fingern zog, um ihn auch zu lesen. »Der Onkel Johann!« fuhr er fort. »Gibt's denn das?« Er
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