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Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dazu ersehen konnte, und steckte dann den Umschlag so an den Spiegel, daß die Aufschrift und die Briefmarke gut zu lesen waren.
    Ja, ein Verwandter komme sie besuchen, einer aus Amerika, sagte sie zu Kundinnen, die den Brief am Spiegel entdeckten und sich nicht scheuten, neugierige Fragen zu stellen.
    Amerikanische Verwandte waren für Europäer schon immer mit Vorstellungen von Reichtum und Überfluß verbunden. Das hat sich bis zum heutigen Tag nicht geändert, obwohl das Fernsehen inzwischen ständig Sendungen bringt mit der Überschrift ›Armut in den USA‹.
    Emma Kerbel wurde nicht nur einmal gefragt, ob ihr Verwandter Millionär sei.
    »Sicher«, antwortete sie dann, und das hatte zur Folge, daß sie plötzlich gerade von hochnäsigen, schikanösen Kundinnen mit etwas mehr Achtung behandelt wurde. Einmal erschien sogar der Ehemann eines solchen Weibes, betrachtete den Brief und sagte mit warmer Stimme zu der kleinen Näherin: »Bitte, lassen Sie es uns wissen, wenn der Herr kommt. Ich würde gern mit ihm bekannt werden, da ich mich für alles Amerikanische interessiere. Glauben Sie, daß ich ihn in mein Haus einladen könnte, zusammen mit Ihnen natürlich? Übrigens, daß ich nicht vergesse, in Zukunft können Sie auch meine beiden Töchter zu Ihren Kundinnen zählen; ich werde das veranlassen.«
    Der Mann war Schrotthändler. Die Kapitaldecke, über die er verfügte, hatte dringend eine ›Spritze‹ nötig; daher sein Interesse für alles Amerikanische.
    Der Metzgermeister Josef Müller aus Köln-Nippes hieb sein Beil tief in den Hauklotz und schob die Mütze ins Genick. Er schüttelte den Kopf und las den Brief mehrmals durch.
    »Da Johann!« rief er so laut, daß seine zwei Lehrjungen erschreckt herumfuhren. »Dat is ja doll!«
    Er schwenkte den Brief und trat an die Wurstmaschine.
    »Weißte, wer nächste Mond kütt?« fragte er den Gesellen, der die Maschine bediente. »Minge Broder aus Amerika! Dat verschollene Jüngche! Da Lümmel, den menge Vatter us dem Hus jeworfe hätt! Nä, wat et nit all jitt!« Er lachte und schaute auf den Kalender. »Noch vier Woche! Wat ich mich freue! Da Johann! Und Johnny heißt er jetzt! Johnny Miller! Ich lach' mich kaputt!«
    Der Geselle grinste pflichtgemäß auch, obwohl es ihm völlig egal war, wer da aus Amerika kam oder nicht kam. Ihn interessierte nur eines: daß am nächsten Sonnabend der VfB Stuttgart ins Müngersdorfer Stadion kam – natürlich, um zu verlieren! (Und vielleicht hätte ihn auch noch ein bißchen interessiert, daß bei seiner derzeitigen ›Flamme‹ die Periode ausgeblieben war. Das mußte ihm aber erst noch mitgeteilt werden. Mit Mariechen – so hieß die Dame – traf er sich erst in zwei Tagen wieder.)
    »Wo liegt Chicago, wer weiß dat?« fragte Josef Müller, in die Runde blickend.
    Allgemeines Schweigen antwortete ihm. Er selbst wußte es auch nicht.
    »Wat seid ihr Ochsen!« sagte er zur Belegschaft und riß sein Beil aus dem Hauklotz, um die Arbeit fortzusetzen.
    Enorm war die Wirkung des Briefes auf dem Gut Waldfels.
    Daß ein leibhaftiger Baron in die Familie Müller eingedrungen war, wurde allgemein als Irrtum der Natur angesehen. Inge Müller, die Schwester Johnny Millers, hatte auf einem ländlichen Fest den damals schon angeschlagenen Baron von Chowelitz kennengelernt und als kluges Mädchen unter Einsatz ihres ganzen Körpers die Fäden gesponnen, bis der Herr Baron eingesponnen war und zu allem Ja und Amen gesagt hatte. So war aus Inge Müller eine Baronin geworden, sie hatte ein Kind bekommen, den jungen Baron Huldrich von Chowelitz, hatte ihren Mann um zehn Jahre überlebt und war schließlich an dem Ärger gestorben, den ihr der damals noch halbwüchsige Huldrich schon systematisch zugefügt hatte.
    Huldrich von Chowelitz hatte den Namen Johnny Miller im Rahmen seiner gemischten Familie nie gehört. Er hatte sich von den einfachen Müllers abgesondert, ein freiherrliches Leben geführt und das Gut seines Vaters an den Rand des Ruins gebracht. Diese Leistung imponierte ihm sogar noch irgendwie. Seine Lage war so, daß fast an jedem Tag sein Verwalter ihm empfehlen zu müssen glaubte, den Konkurs anzumelden. In der Hoffnung auf eine reiche Heirat verschob er aber das immer wieder und häufte seine Schulden Tag für Tag zu einem noch höheren Berg an, da das Wort ›Einschränkung‹ in seinem Sprachschatz fehlte. Das Nachbarsgut, das der schönen Baroneß Evy von Eibenhain gehörte, stach ihm in die Augen und ermunterte ihn
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