Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gift der alten Heimat

Das Gift der alten Heimat

Titel: Das Gift der alten Heimat
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Es war die Zeit nach dem Krieg; wirtschaftlich lag alles darnieder.«
    »Millionär bist du hier ja geworden«, warf White ein.
    »Sogar vielfacher«, bekräftigte Waller.
    »Gerade deshalb«, sagte Ford zu Miller, »wäre es dir aber ein leichtes gewesen, wieder mal rüberzufahren.«
    »Das stimmt«, meinte White.
    Miller schwieg, doch in seinem Inneren arbeitete es nach wie vor.
    »Was Greg sagt, unterschreibe ich auch«, erklärte Waller.
    Nur Nicholson stellte sich auf Millers Seite, indem er – natürlich grinsend – erklärte: »Johnny wird schon wissen, warum er vom ollen, kaputten Europa die Nase voll hat.«
    »Habe ich aber nicht!« ließ sich Miller zur Überraschung vernehmen.
    »Hast du nicht?« fragte Nicholson erstaunt.
    »Nein.«
    »Dann erkläre uns, warum du das nicht längst getan hast, was Greg dir empfiehlt.«
    Miller sah sie alle vier an.
    »Das kann ich euch nicht erklären«, sagte er. Nach einem Weilchen setzte er mit nach innen gekehrtem Blick hinzu: »Ich kann es mir selbst nicht erklären.«
    Sein Verhalten gab den anderen zu denken. Sie beobachteten ihn, wie er in sich versunken dasaß, rauchte, die Asche auf den Boden fallen ließ und mit seinen Gedanken weit weg zu sein schien.
    »Soll ich euch etwas sagen?« unterbrach Gregory Ford die Stille.
    Die anderen – mit Ausnahme von Miller, der ihn gar nicht hörte – sahen ihn an.
    Ford fuhr fort: »Johnny fährt nach drüben!«
    Das gemeinsame Gelächter, das davon ausgelöst wurde, weckte Miller aus seiner Versunkenheit. Er fragte, ob er einen Witz versäumt habe.
    »Ja«, grinste Nicholson.
    »Welchen?«
    »Greg behauptete – dem Sinne nach –, du hättest in den letzten fünf Minuten deine ganze, jahrzehntelang verlorengegangene Liebe zur alten Heimat in dir wiederentdeckt.«
    Erneutes Gelächter.
    »Greg«, sagte, davon unbeeindruckt, Miller zu Ford, »ich gratuliere dir zu deiner Menschenkenntnis. Du hast es dir verdient, daß ich dir zwei Kisten Liebfrauenmilch und Nacktarsch mitbringen werde.«
    »Das ist ein Wort!« rief Gregory Ford. »Du fährst also?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Sobald mir das Ergebnis meiner Nachforschungen vorliegen wird.«
    »Welcher Nachforschungen?«
    »Nach meinen Verwandten«, erwiderte Johnny. »Ob sie noch leben? Wenn ja – wo?«
    So rasch und glatt werden in gewissen Kreisen gewichtige Entschlüsse gefaßt, die anderswo jahrelanges Sparen und Darben voraussetzen. Für Millionäre bedeutet eben ein Trip von Amerika nach Europa nicht mehr als für normale Menschen ein Ausflug mit dem Fahrrad von Frankfurt nach Offenbach.
    »Die werden dich aber alle schröpfen wollen, Johnny«, warnte Harry White, der Strickwarenhersteller.
    »Dazu gehören immer zwei«, sagte Miller, ließ dann jedoch eine kleine Bombe platzen, indem er hinzufügte: »Wenn ich sehe, daß eine kleine Zuwendung nützlich wäre, soll's mir auf ein paar Dollar nicht ankommen.«
    »Was nennst du ›ein paar Dollar‹, Johnny?«
    »Bis zu einer Million, Harry.«
    »Mach keine dummen Witze, Johnny!«
    Ausnahmsweise einmal nicht grinsend, pflichtete Nicholson dem Strickwarenhersteller bei, indem er sagte: »Du kommst uns sonst als verarmter Mann zurück, Johnny. ›Das Gift der alten Heimat‹ würde ich das nennen. Vergiß nicht, du bist Mitglied unseres Clubs. Man erwartet von dir noch eine Stiftung, die Amerika zugute kommt.«
    »Gut, daß du mich daran erinnerst«, lachte Johnny Miller.
    Rheinstadt liegt am Rhein, dort, wo er breiter wird. Es ist keine große Stadt. Etwa neuntausend Einwohner hat sie. Jeder weiß vom anderen, wo ihn der Schuh drückt, ob er im Lotto spielt oder glaubt, das nicht nötig zu haben, ob er in die Kirche geht und für welchen Bundesligaverein er schwärmt.
    Die Straßen des Städtchens sind eng und winkelig, mittelalterlich wie in vergilbten Büchern. Im Zentrum steht, wie sich das gehört, auf einem hübschen, vom Verkehr freigehaltenen Platz das Rathaus, in dem ein christdemokratischer Bürgermeister regiert. Von den Stadträten, die glauben – irrtümlich, wie er meint –, ihm ins Handwerk pfuschen zu können, gehören die weitaus meisten auch seiner Partei an. Die Opposition spielt also keine Rolle.
    Von der Optik her ist der wahre Beherrscher der Stadt der Rhein, der breit und gewaltig an die flachen Ufer spült und morgens die Nebel über die Häuser schickt. Die Schiffe, die nach Holland oder in umgekehrter Richtung rheinaufwärts ziehen, tief im Wasser liegend, sind den Leuten ein gewohnter Anblick.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher