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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk
Autoren: Wolf Wondratschek
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Wiederholungen.
    So hat es angefangen. Sein erster Mord!
     
    Es gab keinen Streit. Es gab nur einen Mann,
    der dann tot war.
    Es war einer, sagte er, der hoffte, nicht leben zu müssen.
    Alle lachten. Und irgendwann lachten darüber auch die,
    die nichts von dem, was er gesagt hatte, verstanden.
     
    Kinder bewunderten seine Künste. Und los ging's.
    Aus einem Vogel machte er zwei, aus einem Schmetterling
    eine kleine farbige Wolke, aus einer Fliege nichts.
    Einem Hahn schoß er die schönste Feder vom Leib.
    Es wurde immer schwieriger, keinen Spaß zu haben.
     
    Er war wieder hinaus zu den Ziegen gegangen.
    Sie waren, wenn es nichts anderes gab, gut genug.
    Eine gab es, die ihm gefiel, eine mit dreieckigen Ohren,
    eine, die, wie es sein muß, wild war und hochmütig
    und schwer einzuschätzen, wie sie ihn anschaute,
    wenn er mit ihr fertig war und nach Hause ging!
     
    Alles war wie immer. Der Himmel war da,
    die Sonne. Hühner pickten an einem Toten herum.
    Auf einem Stein saß, eingeschlafen, eine Frau.
    An was wird sich einer, der tot war, am Ende erinnern?
     
    Obwohl es Tag war, alle schliefen.
    Der Friseur, der in der Tür lehnte, schlief,
    der Mann hinter dem Karren mit dem Gemüse,
    das Mädchen, das man gerne etwas gefragt hätte,
    egal was. Sie war mit offenem Mund eingeschlafen,
    wie die Männer in der Bar eingeschlafen waren,
    das Glas in der Hand, mitten im Streiten. Über allem
    lag eine die Sinne verwirrende Verlockung.
     
    Seine Mutter wußte, wo er gewesen war und was er dort,
    wo er gewesen war, getan hatte. Er ist wie die anderen,
    dachte sie, wie alle. Tot oder lebendig, sie lügen.
    Wenn sie nicht schlafen, lügen sie.
    Sie gehen mit einer Lüge aus dem Haus und kommen
    mit einer zurück. Sie dachte nach.
    Nur wenn sie singen, dachte sie, dann nicht.
    Such dir ein Mädchen, sagte sie, es ist Zeit.
     
    Als er heiratete, wurde alles noch schlimmer.
    Es war die Liebe sein Unglück. Er verstand davon nichts.
    Er schaute es sich ab, wie man es macht,
    eine Frau zu behandeln. Es gab Gesetze.
    Was immer passierte, das Gesetz war stärker als die Liebe.
    Nur das Schweigen war stärker als alles andere.
     
    Es gab zwei, drei Frauen, an die er dachte, stärker dachte,
    als eine Frau es verdient. Es war gegen das Gesetz.
    Wenn es nicht Liebe war, war es etwas anderes der Art.
    Aber es war gegen das Gesetz. Und irgendwo,
    und das war gratis, warteten seine Mörder.
     
    Er mußte, wenn er daran dachte, lächeln.
    So war das Leben, dachte er, es dauerte eine gute und
    eine schlechte Minute. Man war jung und man war tot.
    Nach jeder Schießerei stand es in jeder Zeitung.
    Man war die ganze Zeit mehr tot als lebendig.
    Man war tot, während man ein Sandwich bestellte.
    Es sprach sich herum. Und es war in Ordnung.
     
    Da gab es mal, erinnerte er sich, vor langer langer Zeit,
    in einem kleinen Dorf in Sizilien einen kleinen Jungen,
    der, und das so schnell wie möglich, tot und berühmt sein wollte. So viel dazu.
    Es jagte ihm keiner, der kam, Angst ein.
    Es war, wenn das Schicksal sich irrt, immer noch Zeit,
    sich einzumischen.
     
    Wie sie ihn langweilten mit ihrem Kintopp,
    ihren Hüten, ihren Anzügen, den zittrigen Zigaretten,
    ihren mit Dynamit gefüllten Torten zum Geburtstag,
    den großen Reden, dem Gestank ihrer Küsse,
    die Alten der alten Zeit und die Jungen,
    verrückt nach Schnaps die einen, die anderen
    nach Beerdigungen. Wieder einer, dachte er,
    und, wenn er sich umschaute, keiner weniger!
     
    Die Erde brannte, in die man sie warf,
    die schwarzen Träume hinterher, schwarz
    wie die Schuhspitzen schwarzer Schuhe.
     
    Er wünschte jedem, den sie begraben und halb schon
    vergessen hatten, ewigen Frieden, was unnötig war,
    Zeitverschwendung. Sollten die Männer mit den
    Schaufeln sich um all das kümmern,
    und um alles andere die Engel.
     
    Es langweilte ihn all das Blut, auch das eigene.
    Die Dummheit langweilte ihn, das dumme Leben,
    der Tod, dieser Dummkopf.
    Ein Boß, der umgelegt wird, war das noch interessant?
     
    Sein Leben, sein Geld, die aus Sand erbauten Städte,
    das alles war, wie er selbst, unwichtig geworden.
    Wichtig war seine Mutter gewesen, nicht seine Frau.
    Seine Söhne waren wichtig, nicht seine Mörder.
     
    Ich war seine Tochter.
    Er liebte mich, aber ich war unwichtig.
    Es gab keinen Wunsch, den er mir nicht erfüllte,
    aber ich war unwichtig.
    Er wollte, daß ich schön bin, und die Schönheit sein
    Eigentum, und das für immer, und daß ich jung bleibe,
    für immer
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