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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk
Autoren: Wolf Wondratschek
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Wunsch hätte anvertrauen können, noch dazu mit der berechtigten Hoffnung,von ihm zum richtigen Ort geführt oder wenigstens, auf wie vielen Umwegen auch immer, mit den richtigen, der Sache kundigen Leuten bekannt gemacht zu werden – und wie gerne hätte er den Mann aus Isfahan darum gebeten.
    Nach der Lektüre von Der stille Amerikaner von Graham Greene hatte ihn, nachdem er es fast vergessen hatte, noch einmal die Lust gepackt, endlich doch noch in den Genuß von Opium zu kommen. Aber was tun? Er kannte keine Phuong. Er kannte auch keinen dubiosen Antiquitätenhändler, keinen Diplomaten, keinen News-Korrespondenten mit entsprechenden Verbindungen. Er ging einige ihm bekannter Ärzte durch, die vielleicht weiterhelfen könnten, und rief sogar einen an. Er war nicht einmal erstaunt, was der von ihm geschätzte Schriftsteller auf dem Herzen hatte, und wäre bereit gewesen, Chuck ein Suchtgiftrezept auszuschreiben, aber selbst damit käme er nur an eine Tinktur – »und von der kriegen Sie Verstopfung!«.
    Er speiste danach – was tut man nicht alles für die Hoffnung auf ein Kügelchen Opium – eine Zeitlang nahezu ausschließlich bei Asiaten, bei unauffällig in Nebenstraßen versteckten Chinesen und Vietnamesen, und konzentrierte sich, während er in den Speisekarten blätterte, mehr auf das Personal als auf die Liste der Speisen und seinen Appetit. Er versuchte auch auf Märkten herauszufinden, wie die Chancen standen, mit dem einen oder anderen Orientalen in ein Gespräch zu kommen; was sich ebenfalls als aussichtslos herausstellte – und ihm dann auch reichlich kindisch vorkam.
    Also ging er eben wieder zum Italiener.
    Chuck hätte darauf gewettet, daß es bei seinem Freund, sobald von Drogen die Rede war, wieder mit dem Stottern losging. Aber der lachte nur. Na ja, morgens unter die kalte Dusche, und Luft anhalten. Aber es hilft, auf die Beine zu kommen.
    Kalt duschen? Wie oft hatte Chuck in seinen schlimmsten Stunden genau das getan. Wie verzweifelt hatte er versucht, auf die Beine zu kommen, zu Verstand zu kommen, den Depressionen zu entkommen, die das Kokain aufwirbelt wie ein Reifen staubigen Dreck. Chuck wie er nackt in der Wanne steht, in der Hand den Duschkopf, im Herzen die Bitte, ein anderer Mensch werden zu dürfen, endlich aufzuwachen, nicht nur wach zu werden – die Erinnerung daran tat weh wie Eiswasser. Das schaff ich nicht mal, wenn es wirklich nötig wäre, um nach einem lustigen Abend wenigstens halbwegs wieder nüchtern zu werden. Ich denk halt immer noch, daß Zähneputzen zur Not auch hilft.
    Ich hatte mal eine Bekanntschaft, die Gras rauchte. Das Zeug roch gut, doch, ich mochte es, aber offenbar macht es die Leute, wie soll ich sagen, ein bißchen albern.
    Sie meinen, anstrengend?
    Ja, anstrengend. Aber das war sie ohnehin, auch ohne das. Sie sagte, sie brauche es, um abzuschalten. Aber sie legte noch einen Zahn zu. Sie redete sehr viel, wenn sie geraucht hatte, was jedes Treffen mit ihr, die ohnehin viel redete, noch anstrengender machte – und einen mit unerklärlicher Traurigkeit erfüllte. Sie …
    Chuck fragte sich, was sein Freund eigentlich über ihn wußte, über ihn als Person, über sein Leben, seinen Umgangmit Prostituierten, Boxern, anonymen Gestalten aus dem Milieu der Unterwelt, in dem er sich so lange so wohl gefühlt hatte; ob es ihn überhaupt interessierte, darüber etwas wissen (oder gar lesen) zu wollen. War das für ihn, wie die Frauen und die Liebe, auch eine Sache der Schriftsprache? Eine Andeutung oder etwas, was man als solche hätte deuten können, hatte es nie gegeben, Chuck konnte sich nicht erinnern. Aber er war damals, als Alkohol und Mädchen sein Problem waren (und dann das Kokain die Mädchen ersetzte), noch gar nicht mit ihm in beruflichem Kontakt gewesen. Und der Ungar, sein damaliger Ansprechpartner im Verlag, war, was die vita activa eines Drogensüchtigen anging, komplett ahnungslos; mit Verständnis und Vergebung durften bei ihm allenfalls Alkoholiker rechnen. Er zitierte, was die anging, gern den heiligen Seraphim: Um den Frieden Deiner Seele zu bewahren, hüte Dich, über andere zu urteilen.
    Sie wollte dann immer, daß ich ihr zuschaue, wie sie Musik hört. Ich war einverstanden. Hör du ruhig deiner Musik zu, sagte ich ihr, und schloß die Augen. Das ist keine Musik, protestierte sie, das ist die Callas!! Aber mehr als eine beschwingte redselige Schwärmerei lösten bei ihr die extremen Gefühlsäußerungen dieser außerordentlichen Stimme
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