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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk
Autoren: Wolf Wondratschek
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nicht aus. Es war, wie gesagt, mit ihr alles ein wenig anstrengend, aber schließlich wollte ich sie ja nicht heiraten. Und auch rauchen wollte ich nicht, obwohl sie mich bedrängte und mir ihre mit Gras gefüllte Zigarette hinhielt, weil sie fand, daß ich die Mischung unbedingt ausprobieren sollte: Marihuana und Maria Callas!
    O Gott, sagte Chuck, tut mir leid. Er war froh, das Thema fallenlassen zu können. Damit werden sie uralt, keine Drogen und jeden Morgen kalt geduscht.
     
    Chuck fiel die gute Emilie ein, seine Großmutter, die noch als Achtzigjährige jeden Morgen die Dusche aufdrehte, und zwar kalt. Sie hieß deshalb, nachdem sein Vater es einmal im Spaß gesagt hatte, in der Familie nur noch ›die kalte Emilie‹! Was sie nicht weiter störte, weil sie schwerhörig war. Aber was von ihrem Schwiegersohn zu halten war, wußte sie auch so. Nicht viel, weniger als nicht viel. Sie hatte mehr als nur vage Vorbehalte gegen einen Mann, der gerne vom Krieg erzählte und dessen gerahmtes Porträt, ein Schwarzweißfoto in der Uniform eines Offiziers der Luftwaffe, noch immer einen Ehrenplatz im elterlichen Wohnzimmer einnahm, wo es gut sichtbar auf einer Kommode thronte. Sie mochte ihn nicht. Sie mochte die Art nicht, wie zufrieden er war mit seinem Leben damals, damals im Krieg, seine Stimme, wenn er davon erzählte, seine Ansichten darüber, was richtig gewesen war an all dem, was man Krieg nennt. Sie mochte ihn so wenig, daß sie ihm nicht einmal mehr widersprach. Sie hatte es aufgegeben. So etwas, sagte sie und schüttelte den Kopf. Es hatte also, was war, kein Ende, immer noch nicht. Sie verstand es nicht. Sie verstand so etwas nicht. Es gab nichts, was sie zwingen konnte, es zu verstehen. Heiliger Gott! Großer barmherziger heiliger Gott! Nichts gab es, außer Ausreden. Und die Dummheit gab es, das ganze ewige Elend der Dummheit. Und es gab mehr als genug Beweise, daß die Welt auf sie hörte, auf die Dummen. Selbst die, die Verstand hatten, hörtenihnen zu, denn das waren sie, die Dummen, sie waren schlau, sie waren schlau und laut und zäh und zu viele. Was zählte da, daß die Welt schön war, daß es das alles wie zu der Zeit, als sie noch ein junges Mädchen war, noch immer gab, Jahreszeiten und Farben und den Himmel und Regentropfen und Schneeflocken – und den Glauben daran, daß die Dummheit dagegen machtlos war? Nein, dachte sie, wenn sie den Mann sah, in dessen Haus sie nur kam, um ihr Enkelkind zu sehen, wenn sie ihn sprechen hörte, zu seinem Kind, zu ihr, zu ihrer Tochter, die seine Frau war, nein, dachte sie, all das, was schön war, war nichts. Es war wertlos. Oder ich täusche mich, dachte sie, vielleicht. Es ist das Alter, dachte sie, es sind die alten Knochen, die Schmerzen. Es ist die Erinnerung, die, wenn man alt ist, näher und näher kommt, die Traurigkeit, die weh tut. Vielleicht.
    So saß sie da, glättete mit den Händen den Rock über den Beinen und schüttelte den Kopf auch über sich, daß sie ihn jetzt, was immer er sagte, reden ließ, daß sie die Kraft nicht mehr hatte, ihn anzuklagen, den Krieg anzuklagen und Männer wie ihn, die so taten, als sei er etwas Großes, Großartiges gewesen. Sie war müde und alt. Sie hatte es hinter sich, sie hatte überlebt; was das einzige war, das der Krieg ihr gelassen hatte: ihr Leben.
    Und natürlich war da eben der Junge, ihr kleiner Liebling, dem sie die Kränkung, einen wie diesen Mann zum Vater haben zu müssen, zwar nicht ersparen konnte, sie ihm aber zumindest erträglich machen wollte, auch wenn das Kind das alles noch nicht begriff und ohnehin nie hinhörte. Auch deshalb schwieg sie. Aber Chuck entging sie nicht, die stille, aber harte Feindschaft der beiden,und sie paßte ihm damals, mit seinem Dickschädel ohnehin immer wegen irgendwelcher Kleinigkeiten im Streit mit seinem Vater stehend, ganz gut in den Kram und hatte ihn so ganz automatisch in den Rang des von ihr vergötterten Lieblingsenkels befördert.
    Sie war stolz auf ihn, daß er sich zu Hause nicht unterkriegen ließ, daß er Charakter hatte und den Willen, sich nicht alles, was sein Vater mit Härte und Kontrolle glaubte durchsetzen zu können, gefallen zu lassen. Ein schwieriges Kind? Ach wo, nur eben ein Kind, den die Ohrfeigen, die man ihm verabreichte, nicht beeindruckten, und der seinem Vater, wenn er sie austeilte, in die Augen schaute. O ja, mein Kind, dachte sie, schau hin, schau ihm in die Augen. Er stand es durch. Er war tapfer. Er war in den Augen seiner
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