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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk
Autoren: Wolf Wondratschek
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Fliege zu treffen, die eine undichte Stelle in der Fensterscheibe vermutete und sie deshalb in immer neuen Attacken danach absuchte, bevor sie aufgab und zur Decke hinauf abdrehte. Die angebrochene Tafel Schokolade, die herumlag, interessierte ihn nicht, nur das Stanniolpapier, von dem er eine Ecke abriß und, ein Auge immer der Flugbahn der Fliege folgend, zu einem Kügelchen zusammenrollte.
    Geld verdirbt einem die Armut, sagte Chuck, undmeinte es so. Es muß etwas bleiben, was man nicht hat, und nicht leicht bekommen kann, nicht zu seinen Bedingungen. Geld kostet was. Geld hat Hunger. Es ist eine Bestie. Es frißt dich auf. Es frißt, was es kriegt, deinen Verstand, dein Herz, deine Seele. Was bleibt, ist nichts, nur Angst, nackte Angst. Und was tut ein Mensch, der Angst hat? Er bewaffnet sich. Und mit was? Mit Geld! Er wollte wissen, ob sein Sohn darüber schon einmal nachgedacht habe, über Geld, über das, was Geld will, was es bedeutet, was es einem wert war. Man sagt, daß Geld Sicherheit bedeutet. Kann sein. Fragt sich nur, und ich frage das jetzt dich, wie abgesichert willst du leben? Wie viel Sicherheit ist sicher?
    Der Junge wirkte bedrückt. Was Geld wert war? Was man, wenn man sie hätte, mit einer Million anfinge, meinte er das? Was war das, ein Verhör? Gab es, vorausgesetzt, man hatte Lust, sich darüber Gedanken zu machen, eine Antwort? Und welchen Sinn hätte sie? Es würde der Antwort, falls er eine hätte, nur die nächste Frage folgen, und noch eine. Oder nicht? Oder etwa nicht?
    Nachgedacht, fragte er, warum? Was war damit? Was sollte damit sein? Was gingen ihn die Vor- oder Nachteile einer Sache an, die ihn nichts anging? Und außerdem, sah sein Vater nicht, mit was er beschäftigt war, daß es nur eine Frage der Zeit sein konnte, wann sich die Fliege auf dem Tisch niederlassen würde? Er brachte also besser schon mal seine Munition in Stellung.
    Warum? Weil es dein Leben kosten kann, mein Sohn, darum!
    Soweit er seinen Vater einschätzen konnte, war das seine Art, sich in seine Erziehung einzumischen. Er hatteimmer solche Ideen, große Ideen. Und immer war man, wenn man sich darauf einließ, der Dumme. Man ging also besser in Deckung.
    Was für ein Leben?
    Deines. Damit niemand kommt und es stiehlt! Oder kauft! Damit es dir gehört, allein dir, und nicht eines Tages einem anderen, einer Firma, einem Konzern, einer Regierung! Deshalb! Du wirst herausfinden müssen, was das ist, Geld, was dich daran interessiert.
    Sein Sohn saß wie erstarrt da, zusammengekrümmt und auf Augenhöhe mit der Tischkante, bereit zu feuern – was für Chuck kein Grund war, verärgert oder enttäuscht zu sein. Er wußte, daß Kinder das können, zuhören und nicht zuhören, beides gleichzeitig; er selbst hatte das perfekt beherrscht. Man muß nicht, um zu verstehen, stillsitzen. Das Gedächtnis funktioniert so nicht. An was sich jemand erinnert, hat mit anderen Qualitäten zu tun als der Autorität von Argumenten. Es ist, was hängenbleibt, der Klang einer Stimme, ihr Echo in den mit Vertrauen angefüllten Wärmespeichern des Herzens. Es geht nichts verloren, was einer sagt. Dagegen kam auch die Fliege nicht an, der im Moment, wie es schien, die ungeteilte Aufmerksamkeit des Kindes galt.
    Zugegeben, als Chuck so jung war wie sein Sohn jetzt, hatte er über alles nur nicht über Geld nachgedacht. Warum auch. Waren Eltern da, war Geld da, und was brauchte man schon außer ein bißchen Taschengeld. Man war mit allem Möglichen (und natürlich viel Wichtigerem) beschäftigt, dem eigenen Körper vor allem und was man damit, mehr oder weniger heimlich, alles anstellen konnte, beschäftigt mit der Bande, mit der man sich traf,mit den harmlosen kleinen Angebereien untereinander, und wie man, wie in seinem Fall, aufhört, den Komparsen für die abzugeben, die in den Hauptrollen vorneweg rennen; vor allem war man allein schon damit ausgelastet, keinen Mist zu bauen, nicht in Anwesenheit der zwei, drei Mädchen, auf die es ankam – ein Thema, das man besser gar nicht erwähnte, kam es doch darauf an, dieses Interesse sogar sich selbst gegenüber herunterzuspielen. Und dann, ach Gott, beschäftigt mit allem, was einem sonst noch so durch den Kopf ging: den Wunsch, die Schule zu schmeißen, wie man eine Sache, egal welche, richtig oder falsch einfädelt, wie schwer es war, den Anfang einer Spur zu finden, der man folgen wollte.
    Sich in seinem Kind wiedererkennen? Was sollen Ähnlichkeiten enthüllen? Der genetische Code? Was
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