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Das Geschenk

Das Geschenk

Titel: Das Geschenk
Autoren: Wolf Wondratschek
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ihm, bis er wieder flüssig sei, auszuhelfen. Aber gerne, sagte der, nahm einen Schein, einen Fünfhundert-Euro-Schein, aus seiner Brieftasche und schob ihn über den Tisch. Der Mann bedankte sich, fand aber, daß die Summe zu hoch und ihm mit weniger auch geholfen wäre und riss den Schein deshalb in zwei Hälften, steckte eine davon ein, ließ die andere auf dem Tisch liegen, bedankte und verabschiedete sich. Was ist das, eine Geschichte mit glücklichem Ausgang?
    In jedem Fall die Geschichte eines glücklichen Menschen. Wenn nicht ihm, so ist doch jedem geholfen, der sie liest.
    Mein Sohn, dem ich sie erzählte, hielt den Mann für einen ausgemachten Dummkopf. Und seinen Vater, dem die Geschichte, wie er sah, zu gefallen schien, wohl auch.
    Nun ja, das Dümmste ist es nicht, ein Dummkopf zu sein. Flaubert, der ja alles andere als ein Dummkopf war, zählte die Dummheit zu einer der drei Voraussetzungen, um glücklich zu sein; als die zwei anderen nennt er Egoismus und gute Gesundheit. Es ist über die Dummheit immer schon sehr viel nachgedacht und auch viel Intelligentes gesagt worden. Man hüte sich, sie zu verdammen. Man streue Blumen über sie. Denken Sie nur an manche dieser herrlichen alten Hollywood-Filme, an diese bezaubernd leichten, gut gebauten und glänzend geschriebenen Komödien und die liebenswert ungeschickten Dummköpfe darin, die man einfach gern haben mußte – was die jungen Damen, nachdem sie ausgiebig in ihre Kissen geweint hatten, dann schließlich auch einsahenund sie heirateten! Aber ein bißchen Plot mußte sein, weshalb erst einmal eine bereits geplante Verlobung mit einem mit zu viel Bildung belasteten anderen jungen Mann, gern auch der Erbe eines großen Namens und eines entsprechenden Vermögens, wieder abgesagt werden mußte. Das Puzzle vervollständigten die jeweiligen Angehörigen, die aufgebrachten Mütter und ratlosen Väter, die sich schließlich vielsagend geschlagen gaben. Als erster fing sich der von der Willenskraft seiner Tochter beeindruckte Brautvater wieder. Seien wir ehrlich, sagte er, man muß sich eben, um glücklich zu werden, ein paar Dummheiten gönnen können. Das waren so die Sätze, die heute keinem mehr einfallen. Aber diese Autoren damals wußten, wie man ein Publikum unterhält und daß es kein zärtlicheres Kosewort gibt als Mein Dummkopf – vorausgesetzt natürlich, es kommt im richtigen Moment aus dem richtigen Mund. Ach, die Dummheit! Natürlich ist mit der der gröberen Sorte wenig anzufangen. Aber gibt es nicht so etwas wie eine Dummheit, die erträglich ist, weil sie keusch ist? Womöglich haben sich die Armen im Geiste deshalb die Gnade Gottes erobert, weil sie die Versuchung nicht kennen, sich seit zweitausend Jahren intellektuell immer mit ihm anlegen zu wollen. Und selbst die, die es nicht sind, die denken müssen, haben Heimweh. Die Nachricht, er habe den Nobelpreis für Medizin zuerkannt bekommen, erreichte den US-Wissenschaftler Stanley Cohen auf einem Schaukelpferd.
     
    Ein lautes Ausatmen und das Scharren eines Stuhls machten Chuck darauf aufmerksam, daß er die Zeit seines Freundes bereits über Gebühr beansprucht hatteund sich wohl endlich entscheiden mußte, ob er den Herren der Heilkunde nun zu- oder absagen wollte. Und dann hörte er auch noch das Klingeln eines zweiten Telefons.
    Der Vorteil, nicht wie sonst lange über die Höhe eines Honorars feilschen zu müssen, hatte was, zugegeben; aber was war es, was sie wollten? Was wollten sie kaufen, was ihm abkaufen? War es okay, daß Geld okay war? Ziemlich okay sogar, wie sein Sohn sich ausdrückte?
    Chuck war sich seiner Entscheidung sicher. Es war das Geld, das sie ihm, in welcher Höhe auch immer, zu zahlen bereit wären, lächerlich. Es war Geld, wie es sich gewisse Leute zusteckten, diskret, mit einem kurzen nüchternen Kopfnicken; Geld, wie es in einem Umschlag in den Innentaschen von Jacketts auftaucht, die man zur Reinigung gibt und vorher noch einmal abklopft; irgendwo, irgendwie muß es dorthin gelangt sein.
    Aber Sie sind pleite, hielt sein Freund dagegen.
    Stimmt, sagte Chuck, bin ich. Na und?

 
    Was wird aus einer Geschichte, wenn der Ort falsch ist, an dem sie erzählt wird? Bleibt die Geschichte die gleiche, wenn Chuck sie seinem Sohn erzählt, während sie am Rande der Sahara unter einem Sternenhimmel sitzen oder in Berlin in einem Hotelzimmer und auf die Pizza warten? Sie gehen an einem Strand auf und ab, viele Runden hin und her, bleiben manchmal stehen, es ist längst
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