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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes
Autoren: Anthony Horowitz
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hinweisen, um sie nicht zu beunruhigen. Wir hatten ein Hansom Cab, das auf uns wartete, und sind sofort weggefahren.«
    »Das ist sehr interessant«, sagte Holmes. »Das Verhalten dieses Mannes erscheint vollkommen unsinnig. Erst stellt er sich mitten aufs Village Green, dann steht er unter einer hellen Laterne. Man hat den Eindruck, dass er sich größte Mühe gibt, von Ihnen gesehen zu werden. Andererseits macht er keinen Versuch, Sie anzusprechen oder sich Ihnen zu nähern.«
    »Er hat Kontakt mit mir aufgenommen«, erwiderte Carstairs. »Schon am nächsten Tag, als ich früh nach Hause kam. Mein Freund, Mr. Finch, war in der Galerie und katalogisierte eine Sammlung von Zeichnungen und Radierungen von Samuel Scott. Dazu brauchte er mich nicht, und ich war ohnehin noch ganz durcheinander wegen der zwei Begegnungen mit diesem Mann. Ich kam kurz vor drei Uhr nachmittags nach Ridgeway Hall – und das war auch gut so; denn als ich ankam, ging dieser Bursche gerade auf unsere Tür zu. Ich rief ihn an, und er drehte sich um. Er sah mich und rannte sofort auf mich zu. Ich war sicher, dass er mich angreifen wollte, und hob sogar meinen Spazierstock, um mich zu schützen. Aber er plante offenbar keine Gewalt. Er trat direkt vor mich hin, und zum ersten Mal sah ich sein Gesicht: dünne Lippen, dunkelbraune Augen und eine weiße Narbe auf seiner Wange, die Hinterlassenschaft einer Kugel, wie es mir schien. Er hatte Schnaps getrunken – das konnte ich riechen. Er sagte kein Wort, sondern zog ein Stück Papier heraus, das er über seinen Kopf hob und mir dann mit Gewalt in die Hand drückte. Anschließend lief er davon, noch ehe ich Gelegenheit hatte, ihn anzuhalten.«
    »Und der Zettel?«, fragte Holmes.
    »Den habe ich hier.« Der Kunsthändler zog ein doppelt gefaltetes Blatt aus der Tasche und reichte es meinem Freund. Holmes schlug es vorsichtig auf. »Meine Lupe, bitte«, sagte er zu mir. Ich reichte ihm das Vergrößerungsglas, und er wandte sich wieder an Carstairs. »Ein Umschlag war nicht dabei?«
    »Nein.«
    »Das halte ich für äußerst bedeutsam. Aber lassen Sie sehen …«
    Es standen lediglich sechs Worte in Blockschrift auf dem Papier: ST MARY’S CHURCH, MORGEN UM ZWÖLF.
    »Das Papier ist englisch«, stellte Holmes fest. »Auch wenn der Besucher es nicht war. Sie sehen, dass er Blockbuchstaben benutzt, Watson. Was glauben Sie, zu welchem Zweck er das tut?«
    »Um seine Handschrift zu verstellen?«
    »Das wäre möglich. Andererseits hat er Mr. Carstairs bisher wahrscheinlich noch nie geschrieben und wird das wohl auch nicht so bald wieder tun, man könnte also davon ausgehen, dass die Handschrift nicht sonderlich wichtig ist. War das Blatt gefaltet, als er es Ihnen gegeben hat, Mr. Carstairs?«
    »Nein, ich glaube nicht. Ich habe es später selbst gefaltet.«
    »Das Bild wird von Minute zu Minute klarer. Diese Kirche, auf die der Mann sich bezieht, St Mary’s. Ich nehme an, die ist in Wimbledon?«
    »An der Hothouse Lane«, erwiderte Carstairs. »Nur ein paar Schritte von meinem Haus entfernt.«
    »Das Verhalten des Mannes ist vollkommen unlogisch, finden Sie nicht? Er will mit Ihnen sprechen. Er drückt Ihnen eine Nachricht mit diesem Wunsch in die Hand, spricht aber nicht. Er sagt kein einziges Wort.«
    »Ich vermute, dass er ungestört mit mir allein sprechen wollte. Und tatsächlich kam meine Frau, Catherine, kurz darauf ausder Tür. Sie hatte im Esszimmer gestanden, von wo aus man die Einfahrt gut überblicken kann, und hatte gesehen, was gerade passiert war. ›Wer war das?‹, fragte sie.
    ›Ich habe keine Ahnung‹, erwiderte ich.
    ›Was wollte er?‹
    Ich zeigte ihr den Zettel, und sie sagte: ›Das ist jemand, der Geld will. Ich habe ihn gerade durchs Fenster gesehen – ein rauer Bursche. Letzte Woche haben Zigeuner auf dem Anger kampiert. Bestimmt war er einer von denen. Edmund, du darfst da nicht hingehen.‹
    ›Keine Sorge, meine Liebe‹, erwiderte ich. ›Ich habe keinerlei Absicht, diesen Burschen zu treffen.‹«
    »Sie haben Ihre Frau beruhigt«, murmelte Holmes. »Aber Sie sind am nächsten Tag trotzdem pünktlich zu dieser Kirche gegangen.«
    »Ja, genau das habe ich getan – und ich hatte einen geladenen Revolver dabei. Aber der Mann war nicht da. Die Kirche wird wenig besucht, und es war elendiglich kalt. Ich bin eine Stunde lang auf und ab marschiert auf den Steinplatten, und dann bin ich wieder nach Hause gegangen. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört und gesehen, aber
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