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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes
Autoren: Anthony Horowitz
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vergessen kann ich ihn auch nicht.«
    »Sie kennen den Mann«, sagte Holmes.
    »Ja, Mr. Holmes. Sie haben den Kern der Sache getroffen. Ich glaube, die Identität dieses Menschen zu kennen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich nicht weiß, was Sie zu diesem Schluss geführt hat.«
    »Das erscheint mir ganz offensichtlich«, erwiderte Holmes. »Sie haben ihn nur dreimal gesehen. Er hat Sie um ein Treffen gebeten, ist dann aber nicht aufgetaucht. Nichts von dem, was Sie gesagt haben, würde erklären, warum dieser Mann Ihnen gefährlich werden könnte. Aber gleich zu Anfang haben Sie gesagt, dass Sie hierhergekommen sind, weil es bedrückende Ereignisse gibt, die Sie belasten. Und einer Begegnung mit diesem Mann wollten Sie sich nicht stellen, ohne einen Revolver mit sich zu führen. Außerdem haben Sie uns noch immer nicht gesagt, welche Bewandtnis es mit der flachen Mütze hat.«
    »Ich weiß, wer er ist. Ich weiß, was er will. Ich bin entsetzt, dass er mir nach England gefolgt ist.«
    »Aus Amerika?«
    »Ja.«
    »Mr. Carstairs, Ihre Geschichte ist hochinteressant. Wenn Sie noch genug Zeit haben, ehe Ihre Oper beginnt, oder ausnahmsweise sogar bereit sind, auf den Genuss der Ouvertüre heute einmal zu verzichten, sollten Sie uns jetzt vielleicht die ganze Geschichte erzählen. Sie haben erwähnt, dass Sie letztes Jahr in Amerika waren. Haben Sie den flachmützigen Mann damals kennengelernt?«
    »Kennengelernt hab ich ihn nie. Aber ich war seinetwegen dort.«
    »Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mir eine Pfeife stopfe? Nein? Dann haben Sie doch bitte die Freundlichkeit, uns mit in die Vergangenheit zu nehmen und zu erzählen, was Sie auf die andere Seite des Atlantiks geführt hat. Ein Kunsthändler gehört doch normalerweise nicht zu den Leuten, die sich viele Feinde machen, nehme ich an. Aber jetzt scheint es so, als ob genau das der Fall wäre.«
    »In der Tat. Mein Widersacher heißt Keelan O’Donaghue, und ich wünschte beim Himmel, dass ich den Namen niemals gehört hätte.«
    Holmes griff nach dem persischen Pantoffel, in dem er seinen Tabak aufbewahrte, und begann, seine Pfeife zu füllen. Unterdessen holte Edmund Carstairs tief Luft. Dies ist die Geschichte, die er erzählte.

2

Die Flat Cap Gang
    Vor anderthalb Jahren wurde ich einem höchst außergewöhnlichen Mann namens Cornelius Stillman vorgestellt, der sich am Ende einer langen Europareise in London aufhielt. Er war an der Ostküste der Vereinigten Staaten zu Hause und gehörte zu jener Kaste von vornehmen amerikanischen Familien, die als »Brahmanen von Boston« bekannt sind. Er hatte mit den Aktien der Calumet & Hecla Mines ein Vermögen verdient, aber auch in Eisenbahn- und Telefongesellschaften investiert. In seiner Jugend hatte er offenbar künstlerische Ambitionen gehabt, und ein wesentlicher Grund für seine Europareise war wohl der Wunsch gewesen, die großen Sammlungen in Paris, Florenz, Rom und London zu besuchen.
    Wie so viele Amerikaner war er erfüllt von einem starken sozialen Verantwortungsbewusstsein, das ihm sehr zur Ehre gereichte. Er hatte im Gebiet der sogenannten Back Bay in Boston ein größeres Grundstück erworben und bereits mit dem Bau einer Gemäldegalerie begonnen, die er The Parthenon nennen wollte. Dieses Bauwerk gedachte er mit den besten Kunstwerken zu füllen, die er auf seinen Reisen erworben hatte. Ich lernte ihn bei einem Abendessen kennen und sah sofort, dass er ein regelrechter Vulkan war, der vor Energie und Ideen sprühte. Gekleidet war er recht altmodisch. Er trug einen Bart und sogar ein Monokel, erwies sich aber als gut informiert und sprach fließend Französisch und Italienisch, ja sogar ein paar Brocken Altgriechisch. Auch seine Kunstkenntnisse und sein ästhetischesGespür unterschieden ihn deutlich von vielen seiner Landsleute. Halten Sie mich bitte nicht für unnötig voreingenommen, Mr. Holmes. Aber Mr. Stillman selbst hat mir von den vielen Defiziten erzählt, die das kulturelle Klima aufweist, in dem er heranwuchs. Dass zum Beispiel große Kunstwerke in unmittelbarer Nachbarschaft von Monstrositäten wie Meerjungfrauen und Zwergen ausgestellt werden. Er hatte Theaterstücke von Shakespeare gesehen, bei denen zwischen den Akten Schlangenmenschen und Seiltänzer auftraten. So war das in seiner Jugend in Boston. Das Parthenon sollte anders sein, sagte er. Es sollte, wie schon der Name besagte, ein Tempel der Kunst und Kultur sein.
    Ich freute mich ungemein, als Mr. Stillman sich bereit
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