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Das Geheimnis des weißen Bandes

Das Geheimnis des weißen Bandes

Titel: Das Geheimnis des weißen Bandes
Autoren: Anthony Horowitz
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so kalt gewesen, als Sie mir die Hand gaben? Nein, Watson, Ihr gesamter Auftritt weist auf Verwirrung und Unordnung hin.«
    »Alles, was Sie sagen, ist richtig«, musste ich zugeben. »Aber eine Frage habe ich doch noch. Wieso waren Sie sich so sicher, dass meine Frau den Zug verpasst hat?«
    »Als Sie hier eintrafen, ist mir an Ihren Kleidern ein starker Geruch von Kaffee aufgefallen. Das war bemerkenswert; denn warum hätten Sie Kaffee trinken sollen, kurz bevor Sie zum Tee zu mir kamen? Die logische Schlussfolgerung war, dass Sie den Zug verpasst hatten und deshalb länger mit Ihrer Frau zusammenbleiben mussten, als Sie geplant hatten. Sie haben Ihren Koffer in der Gepäckaufbewahrung aufgegeben und sind mit ihr Kaffee trinken gegangen. Bei Lockhart’s vielleicht? Man hat mir gesagt, dort sei er besonders gut.«
    Es entstand eine kurze Pause, dann brach ich in Lachen aus. »Nun, Holmes, ich sehe, dass ich mir ganz umsonst Sorgen um Ihre Gesundheit gemacht habe. Sie sind genauso scharfsinnig wie immer.«
    »Das war doch ganz elementar«, erwiderte der Detektiv mit einer müden Handbewegung. »Aber jetzt tritt vielleicht etwas Interessanteres auf den Plan. Wenn ich nicht irre, hat es an der Haustür geklingelt …«
    Und tatsächlich führte Mrs. Hudson kurz darauf einen Mann herein, der den Salon betrat, als ginge es um einen Auftritt in einem Theater im Westend. Er trug eine korrekte Abendgarderobe mit Frack, steifem Kragen und weißer Fliege, Weste, schwarzem Umhang und Lackschuhen. In der einen Hand hielt er einen Spazierstock aus Rosenholz mit silbernem Knauf und silberner Spitze, in der anderen ein Paar weißer Handschuhe. Sein dunkles, schwungvoll aus der hohen Stirn zurückgekämmtes Haar war erstaunlich lang, und er war glatt rasiert. Seine Haut war blass und sein Gesicht ein wenig zu lang, um wirklich gut aussehend zu sein. Sein Alter hätte ich auf ungefähr Mitte dreißig geschätzt, aber die Ernsthaftigkeit seines Auftretens und sein offensichtliches Unbehagen, sich in dieser Umgebung zu finden, ließen ihn älter erscheinen. Er erinnerte mich sofort an manche meiner Patienten, die einfach nicht glauben wollten, dass sie nicht gesund waren, bis der Druck der Symptome zu groß wurde. Das waren fast immer diejenigen, die am schwersten krank waren. Unser Besucher stand mit ähnlichem Widerwillen vor uns. Er wartete unter der Tür und sah sich mit nervösen Blicken um, während Mrs. Hudson dem Hausherrn seine Visitenkarte übergab.
    »Mr. Carstairs«, sagte Holmes. »Bitte nehmen Sie doch Platz.«
    »Sie müssen entschuldigen, dass ich auf diese Art hier hereinplatze … unerwartet und unangekündigt.« Er hatte eine knappe, eher trockene Redeweise. Seine Augen waren immer noch nicht ganz bereit, unserem Blick zu begegnen. »Eigentlich wollte ich gar nicht herkommen. Ich lebe in Wimbledon, ganz in der Nähe des Greens, und bin wegen der Oper in London – obwohl ich gerade nicht die geringste Lust auf Wagner habe. Ich komme eben aus meinem Club, wo ich meinen Steuerberater getroffen habe, den ich schon seit vielen Jahren kenne und mittlerweile als Freund betrachte. Als ich ihm von den bedrückenden Ereignissen erzählte, die mein Leben seit einigen Tagen belasten, erwähnte er Ihren Namen und riet mir dringend, Sie schleunigst zu konsultieren. Mein Club liegt zufällig ganz in der Nähe, und deshalb beschloss ich, Sie unverzüglich aufzusuchen.«
    »Sie haben meine volle Aufmerksamkeit«, sagte Holmes.
    »Und was ist mit diesem Gentleman?« Der Besucher wandte sich mir zu.
    »Das ist Dr. John Watson, mein engster Berater. Ich kann Ihnen versichern, dass Sie in seiner Gegenwart alles aussprechen können, was Sie mir vortragen wollen.«
    »Nun denn. Mein Name ist Edmund Carstairs, wie Sie bereits wissen, und von Beruf bin ich Kunsthändler. Ich habe eine Galerie: Carstairs & Finch in der Albemarle Street. Seit sechs Jahren sind wir jetzt im Geschäft. Wir sind auf die großen Meister vom Ende des letzten und vom Anfang dieses Jahrhunderts spezialisiert: Gainsborough, Reynolds, Constable, Turner und so fort. Deren Gemälde sind Ihnen sicher vertraut, und ich kann Ihnen versichern, dass sie sehr gute Preise erzielen. Erst diese Woche habe ich einem privaten Kunden zwei Porträts von Anthony van Dyck verkauft, für 25000 Pfund. Unser Unternehmen ist sehr erfolgreich und gedeiht ganz hervorragend, trotz der vielen neuen – und ich muss sagen: minderwertigen – Galerien, die überall in der Umgebung aus dem
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