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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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Prolog 1458
    T rübe starrte der beleibte Kaufmann in seinen Bierkrug. Heute konnte ihn selbst das süßliche, blassgoldene Gebräu nicht aufmuntern. Dieses liederliche Weibsbild, seine Schwester! Er hatte kein moralisches Problem damit, dass sie herumhurte und sich dem ersten Besten, der ein seidenes Wams trug, an den Hals warf. Aber dass sie nun ein Balg zur Welt brachte, das keinen Vater hatte, nahm er ihr übel. Als seriöser Kaufmann hatte er schließlich einen Ruf zu verlieren. Noch dazu in dieser kleinen Stadt, wo jeder ihn kannte. Weniger mit Fleiß und Arbeit, dafür aber mit viel Geiz und Verhandlungsgeschick hatte er in den vergangenen Jahren aus dem Geschäft seines Vaters ein richtiggehendes Handelsunternehmen gemacht, das größte der Stadt. Er war jetzt in den Dreißigern und hatte wenig Lust, sich alles, was er aufgebaut hatte, durch die Liederlichkeiten seiner Schwester zunichtemachen zu lassen.
    Die Luft im Alten Eber, dem Bierzapf am Markt, wurde immer dicker, und der Lärm der Zechenden schwoll weiter an. Unaufgefordert stellte die Wirtin einen vollen Krug vor Mathys hin und wischte mit einem Zipfel ihrer schmierigen Schürze über das abgeschabte Holz des Schanktisches. Wortlos wies sie mit dem Kinn in Richtung eines Tisches in der Ecke, an dem es besonders hoch herging. »Der ist nicht ganz bei Trost«, sagte sie.
    Mathys’ feiste Finger griffen nach dem Krug. Er nahm einen kräftigen Schluck und leckte sich den Schaum von den feuchten, für einen Mann ein wenig zu roten Lippen. »Wer?«, fragte er mehr höflich als wirklich interessiert.
    »Na, der Dünne da mit der hellblauen Juppe.«
    Mathys’ Blick folgte dem ihren und machte durch den Dunst einen jungen Mann aus, auf den ihre Beschreibung passte. »Wieso? Was ist mit dem?«, wollte er wissen.
    »Der verliert jetzt schon seit Stunden beim Würfeln. Entweder ist er dumm, oder er hat Geld an den Füßen.«
    »Na, nach Geld sieht der mir nicht aus. Kennst du ihn?«
    Die Wirtin schüttelte nachdrücklich den Kopf, und ihr ausladender Busen wogte energisch auf und ab. »Nee, hab ich noch nie hier gesehen. Muss ein Fremder sein.«
    Dumm und fremd, ging es Mathys durch den Kopf, eine ideale Kombination. Und am trüben Horizont seiner düsteren Gedanken erschien ein kleiner Lichtstreif. Geduldig beobachtete er von Ferne, wie der Fremde sein Glück herausforderte, Stunde für Stunde. Der junge Mann war groß gewachsen, mit kräftigen Gliedmaßen, doch sah er nicht aus wie einer, der sein Geld mit Arbeit verdiente. Seine Hände waren gepflegt, das Gesicht fein geschnitten, mit hübsch geschwungenen Lippen und blauen Augen. Sein Kinn war vielleicht eine Spur zu weich, doch alles in allem war er ein ansehnlicher Bursche. Seine Schwester würde ihm noch dankbar sein, dachte Mathys.
    Der Fremde schien auch kein Händler zu sein, eher ein nichtsnutziger Spross aus adligem Hause. Einer jener Habenichtse, die mit Geschick und Findigkeit anderen auf der Tasche lagen.
    Mathys’ Ausdauer wurde belohnt. In den frühen Morgenstunden saß der junge Mann endlich, abgebrannt und des Inhaltes seiner Taschen beraubt, allein an seinem Tisch. Seine Zechkumpanen hatten sich zerstreut. Mathys gab der Wirtin einen Wink, und mit mitleidigem Lächeln stellte sie einen gut gefüllten Krug vor den Fremden hin. Auf seine Frage hin deutete sie auf Mathys, der seinen Krug zum Gruße hob.
    Kurz kamen Mathys Bedenken. Nicht über die Rechtschaffenheit seines Planes, sondern weil der Mann ein Spieler war. Doch freilich, einen Ehrenmann brauchte er unter diesen Umständen nicht zu suchen. Also stand er auf, setzte sich ungebeten zu dem Fremden an den Tisch und sprach ihn an: »Nicht gut gelaufen, was?«
    »Kann man so sagen.« Der Fremde starrte in seinen Krug.
    »Und was habt Ihr jetzt vor?«, erkundigte Mathys sich höflich.
    »Mal sehen, was sich so anbietet.«
    Mathys hatte sich nicht verschätzt. Der Fremde war völlig mittellos und wusste nicht, wo er die Nacht verbringen sollte.
    »Ein Mann wie Ihr sollte nicht arbeiten müssen.« Mathys zielte ins Blaue.
    Der Fremde nickte zustimmend.
    »Ich hätte Euch ein Geschäft vorzuschlagen«, sagte Mathys und wagte einen Vorstoß.
    Erstaunt zog der Fremde die fein geschwungenen Augenbrauen hoch und blickte Mathys zum ersten Mal aufmerksam an.
    Dieser, sich nun der vollen Aufmerksamkeit des Fremden sicher, sagte: »Ich bin Kaufmann wie mein Vater vor mir. Nicht unvermögend, versteht sich. Und ich habe eine Schwester. Dieser fällt,
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