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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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Mahlzeit auf den Bodendielen. Dann nahm Lijse den säuerlichen Geruch nach Erbrochenem wahr, und als sie das beschmutzte Wams ihres Brotherrn sah, musste sie sich das Lachen verkneifen. Für heute war es noch einmal gut gegangen, dachte Lijse, doch wer weiß, wie es das nächste Mal ausgehen wird? Aber darum würde sie sich später kümmern.
    Äußerlich ruhig, bückte Lijse sich und half dem Mädchen auf, das sich wie ein Bündel schmutzige Kleider zu ihren Füßen zusammengerollt hatte. Nur das Rot auf ihren runden Wangen war eine Spur dunkler als üblich, und wer sie kannte, wusste, das sie innerlich vor Zorn bebte. Lijse maß Mathys mit einem warnenden Blick. Mit sicherem Griff packte sie das Mädchen, das sich hilfesuchend an sie drängte, und schob es ohne ein Wort aus dem Kontor.
    Als sich die schwere Tür hinter ihnen geschlossen hatte, hielt Lijse inne und lauschte. Bis auf Fygens leises Wimmern war es ruhig im Haus. Nur durch die angelehnte Tür der hinteren Stube drang gedämpft das Geschwätz der beiden Mägde, die dort am Herd ihr Mittagessen verzehrten.
    Mit einer Geste bedeutete Lijse Fygen, ruhig zu sein, und führte sie den dunklen Flur entlang, an der Stube vorbei zum Stiegenhaus. Ihre hölzernen Trappen klapperten leise auf den Dielen, als sie die schmale Treppe ins Obergeschoss hinaufgingen. Hier oben über dem Hinterhaus lag Fygens kleine, karg möblierte Kammer, die zwar eng war, die sie aber mit niemandem zu teilen brauchte.
    Mit sanftem Druck hieß Lijse Fygen, sich auf das kurze Bett mit den dicken Rückenpolstern zu setzen, und verließ den Raum, um kurz darauf mit einer Waschschüssel und sauberem Leinen zurückzukehren. Behutsam zog sie Fygen das zerrissene Mieder aus. Das Kleidungsstück war aus gebleichtem, aber sehr solidem Leinen gefertigt, und so war es nur in den Nähten gerissen, der Stoff aber hatte zum Glück gehalten. Es wäre ein Leichtes, das wieder zu flicken.
    Lijse legte das Mieder beiseite, streifte Fygen den graublauen Rock über den Kopf und hängte ihn sorgfältig an einen der beiden Haken an der Wand. Der andere Haken war für das »gute« Kleid reserviert, das Fygen am Sonntag und an Feiertagen trug.
    Dann tauchte Lijse das Tuch ins Wasser und tupfte vorsichtig Fygens Gesicht sauber. Wie zerbrechlich sie aussah. Ihre Haut war fahl, beinahe grünlich, und die sonst so unternehmungslustig funkelnden Augen, die so verblüffend ihre Gefühle widerspiegelten, waren zu einem müden Zimtgelb verblasst. Die Flut dunkelbrauner Locken hing ihr wirr um den Kopf, und ein paar feuchte Strähnen kringelten sich an ihrer Schläfe. Wie ein nasses Vögelchen, kam es Lijse in den Sinn.
    Fygens Lippe war unter der Wucht des Schlages aufgesprungen, doch der Riss hatte bereits aufgehört zu bluten, und die Lippe begann kräftig anzuschwellen. Behutsam tupfte Lijse den Rest des getrockneten Blutes fort.
    Fygen reagierte nicht. Obwohl Lijse sicher war, dass ihre Bemühungen für das Kind schmerzhaft waren, zuckte Fygen nicht ein Mal zusammen. Ihre ganze Reaktion schien sich in einer Gänsehaut zu erschöpfen, die den schmalen Körper überzog. Und das, obwohl sich hier unter dem Dach die sommerliche Hitze staute.
    Sanft drückte die Haushälterin Fygen in ihr Kissen zurück, hob ihre Beine auf das Bett und breitete die dicke, mit Gänsedaunen gefüllte Decke über sie.
    Fygen schien das alles gar nicht wahrzunehmen, ganz so, als hätte sie sich in eine andere Welt zurückgezogen. Lijse war diese Reaktion unheimlich. Sie hätte erwartet, dass Fygen sich lautstark über ihren Onkel beschwert, ihn ein dreckiges Schwein oder Schlimmeres genannt hätte. Auch einer von Fygens Zornesausbrüchen, die so typisch für das kleine verwöhnte Balg gewesen waren, als es vor Jahren in Lijses Obhut kam, und die ihr früher den letzten Nerv geraubt hatten, hätte sie nicht überrascht. Aber diese abwesende Art gefiel Lijse ganz und gar nicht. Müde rieb sie sich über das mollige Gesicht und seufzte tief. Ein letztes Mal tauchte sie den Lappen in die Schüssel und legte ihn dem Mädchen mit einer zärtlichen Geste auf die Wange, die langsam anfing, sich von brennendem Rot in bläuliches Violett zu färben. Dann verließ sie leise die Kammer.

2. Kapitel
    F ygen fühlte sich elend, und trotz des warmen Sommerwetters fror sie erbärmlich. Von der brennenden Wange spürte sie nichts, auch nichts davon, dass ihre Lippe langsam anschwoll. Unbewusst hatte sie nach dem Schlag mit der Zunge geprüft, ob noch alle
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