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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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obwohl es mitten am Vormittag war. Anders als auf der lebhaften Rheinstraße, die sich vom Rheintor im Zollturm an der östlichen Stadtmauer entlangzog und auf direktem Weg an Schloss und Zwinger vorbei zum mächtigen, doppelten Südtor führte. Dort fuhren Pferdefuhrwerke, schleppten Knechte große Bündel auf dem Rücken, wurden schwere Karren entlanggezerrt und hasteten Menschen vorbei, um ihre Besorgungen zu erledigen. Denn Zons war Zollstadt, und jedes Schiff, das die Stadt auf dem Wasserwege passieren wollte, musste entsprechend seiner Waren Maut entrichten. Manches Schiff wurde hier entladen, und die Waren wurden auf dem Landweg weitertransportiert. Und so herrschte ein reges Treiben, nicht nur auf der Straße, sondern auch auf dem großen Platz vor dem Rheintor.
    Fygen hatte sich in den Staub gehockt und fegte ein Stück Lehm neben der Treppe von Sand und Dreck frei, damit die glänzenden roten und blauen Murmeln besser rollen konnten. Ab und an kamen die beiden Gehilfen des Steinmetzes mit ihren Schubkarren vorbei, auf die sie Steine geladen hatten, denn der Sattler, der ein Stück die Straße hinauf wohnte, wollte seine Werkstatt vergrößern. Einmal kam eine Frau an Fygen vorüber, eingehüllt in ein wollenes Umschlagtuch, die Haube tief in die Augen gezogen, und Fygen sah zu, wie sie im Haus des Mützenstrickers auf der anderen Straßenseite verschwand.
    Vom Rhein herauf wehte ein böiger Wind und wirbelte immer wieder Staubwolken auf, die Fygen in die Augen stachen. Und so bemerkte sie denn auch die beiden Männer, die eine schwere, unhandliche Last die Straße heraufschleppten, erst, als sie fast vor ihrem Haus angelangt waren. Erstaunt stellte Fygen fest, dass es ihr Vater war, den sie trugen. Einer der beiden hatte Vater unter den Armen gepackt. Der kostbar bestickte Saum von Vaters Schecke, die Fygen immer so bewundert hatte, schleifte im Staub. Der andere schleppte Vaters Beine, die so, wie sie in ihren engen Hosen in die Luft ragten, dünn und kraftlos erschienen. Beide keuchten unter ihrer Last, und der kleine, untersetzte Mann mit schütterem Haarwuchs, der Vaters Beine hielt, sprach Fygen an: »He, Kleine, lauf geschwind und sag im Haus Bescheid!«
    »Wo hast du denn seine Trippe gelassen?«, wollte Fygen wissen und deutete auf den unbeschuhten Fuß ihres Vaters. Es überraschte sie heute selbst, dass dies die erste Frage war, die ihr damals in den Sinn kam.
    »Der braucht keine Schuhe mehr, der geht nirgendwo mehr hin«, antwortete der andere Mann, ein stämmiger Bursche mit grobflächigem Gesicht. Fygen kannte ihn, es war der Gehilfe des Burggrafen vom Stadttor am Rheinufer. Entsetzt sprang sie auf, die Murmeln kullerten achtlos in den Staub. Erst jetzt sah sie die unnatürliche Blässe auf dem Gesicht ihres Vaters und das verkrustete Blut, das von seinem Hinterkopf in den Kragen gelaufen war.
    Ihr Vater war tot.
    Fygen konnte das nicht verstehen. Ihr hübscher, schmucker Vater sollte plötzlich tot sein? Die greise Veronika war tot, aber die war sehr alt geworden und hatte lange siech gelegen. Es war sicher nicht schlimm, dass der Herrgott sie zu sich geholt hatte. Das neue Kind von Edda war auch tot. Aber es war ja auch noch kein richtiger Mensch gewesen, nur ein kleines schreiendes Bündel, das einfach blau im Gesichtchen wurde und starb. Aber Fygens fröhlicher, starker Vater?
    Als das Mädchen sich nicht rührte, stapften die beiden Männer an ihr vorbei die steinerne Treppe zur Eingangstür hinauf. Wie fast alle Häuser der Stadt war auch Fygens Elternhaus nur über eine Treppe begehbar, denn die Bewohner suchten sich gegen das jährliche Hochwasser zu schützen.
    Wie betäubt folgte Fygen ihnen ins Haus hinein und sah schweigend zu, wie sie ihre leblose Last auf dem großen Tisch in der vorderen Stube abluden. Immer noch stumm stand sie dabei, als die Männer des Burggrafen sich den Schweiß abwischten und Dörte, die ihrem Vater den Haushalt führte, ihnen einen Krug dünnes Bier reichte.
    Fygen hörte die Männer sprechen und trat näher, um zu hören, was sie zu sagen hatten.
    Sie berichteten, sie hätten Vater außerhalb der Ostmauer am Ufer gefunden, gleich neben dem Treidelpfad. Im Staub habe er gelegen, auf dem Gesicht. Und der Hinterkopf sei eingeschlagen gewesen. Ein richtiges Loch sei da, ob sie es sehen wollten? Sie bräuchten nur seinen Kopf etwas zu drehen. Da müsse jemand ziemlich fest zugeschlagen haben. Aber es wäre müßig, herausfinden zu wollen, wer. Der Leichnam
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