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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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sei bereits kalt und der Schuldige bestimmt schon über alle Berge. Der Nachtwächter hatte nichts Verdächtiges bemerkt, den hätten sie schon gefragt. Das Stadttor war um neun Uhr, als er seine Runde machte, fest verschlossen, und auch die Wachen im Rheintor hatten in der Nacht nichts Auffälliges bemerkt. Da könne man halt nichts machen.
    Wieso denn der van Bellinghoven nach Toresschluss nicht in der Stadt gewesen wäre? Das zieme sich nicht für einen ehrbaren Kaufmann.
    Darauf wusste Dörte keine Antwort zu geben, doch das verwunderte Fygen nicht. Sie fand Dörte ohnehin ziemlich dumm. Aber das lag wohl an Dörtes Kuhaugen, aus denen sie in die Welt schaute, als sähe sie diese jeden Tag aufs Neue zum ersten Mal. Auch ihr einfältiger Gesichtsausdruck trug nicht dazu bei, sie fähiger erscheinen zu lassen. Doch alles in allem führte sie Vaters Haushalt zu seiner Zufriedenheit und gab selten Anlass zur Beschwerde.
    Da draußen triebe sich doch allerlei Diebesvolk herum, wie schließlich jedermann wisse, erklärten die Männer des Burggrafen, und das käme nun davon.
    Fygen verstand nicht, was wovon kommt, aber sie mochte auch nicht nachfragen. Und vor allem wollte sie das Loch in Vaters Kopf nicht sehen.

    Gott weiß, woher sie diesmal wusste, dass im Hause Bellinghoven etwas geschehen war, doch die beiden Männer waren noch nicht zur Tür hinaus, als schon die Frau des Goldschmieds erschien, eine unangenehm neugierige Person, wie Fygen fand. Alles an ihr war spitz. Ihre Nase, ihr Busen und ihre hohe kreischende Stimme.
    Sie übernahm sofort das Regiment im Bellinghovenschen Haus. Zunächst schickte sie Fygen los, sie solle sich eilen und zum Pfarrer laufen. »Sag ihm, Konrad van Bellinghoven ist gestorben. Wir brauchen feines Bahrtuch und« – hier zögerte sie ein wenig, dann entschied sie – »sechs Kerzen. Und er soll den Kirchendiener schicken.«
    Fygen starrte der Frau des Goldschmieds überrascht in das spitze Gesicht. Es erinnerte sie an die Schnauze einer Spitzmaus, auch der Schnurrbart fehlte nicht. Fygen war es nicht gewohnt, so herumkommandiert zu werden. Erst recht nicht von dieser Spitzmaus. Trotzig verschränkte sie ihre schmächtigen Arme vor der Brust und bedachte die Frau des Goldschmieds mit einem düsteren, safranfarbenen Blick.
    »Na, was ist? Worauf wartest du?«, herrschte die Frau sie an, und widerstrebend verließ Fygen nun doch die Stube und machte sich auf den Weg zum Pfarrhaus.
    Bis Sankt Martinus war es nicht weit, und neben dem trutzigen Kirchenbau erschien das Pfarrhaus richtiggehend winzig. Wie schutzsuchend duckte es sich unter eine große Ulme, die ihre Äste über das strohgedeckte Dach breitete.
    Der Pfarrer saß am Tisch und löffelte Gerstenbrei aus einer hölzernen Schüssel in sich hinein, als Fygen eintrat. Unwillig hob er den Kopf und schaute sie aus blutunterlaufenen Augen an. Müde hingen die schweren Tränensäcke in seinem teigigen Gesicht, und Fygen schien es, als wäre der Herr Pfarrer gerade erst aus den Federn gestiegen. Selbst sie hatte schon gehört, dass der Pfarrer hochgeistigen Getränken sehr zugetan war.
    »Nun?«, fragte er schroff und zog die Augenbrauen hoch, was seinem langen Gesicht etwas Pferdeartiges verlieh.
    Fygen versuchte zu wiederholen, was ihr die Spitzmaus aufgetragen hatte. Doch als sie den Mund öffnete, kam nur ein leises ersticktes Krächzen hervor.
    »Kind, sag, was du zu sagen hast«, brummte der Pfarrer ungeduldig.
    Fygen unternahm einen zweiten Versuch: »Der van Bellinghoven …«
    »… ist dein Vater, ja. Was ist mit ihm?«
    »Tot«, hauchte das Mädchen. »Tot.«
    Die Hand mit dem Löffel verharrte in der Luft, und die Augenbrauen des Pfarrers verschwanden fast unter seinem unordentlichen Haarschopf.
    »Tot?«, fragte er ungläubig und schüttelte den Kopf. Dann erst besann er sich und machte pflichtschuldigst ein schlampiges Kreuzzeichen.
    »Der war gestern Nacht doch noch putzmunter. Wir haben den einen oder anderen Krug …« Abrupt verstummte er, denn ihm fiel ein, dass diese Ausführungen sicher nicht für die Ohren eines kleinen Mädchens geeignet waren. Was mochte dem van Bellinghoven zugestoßen sein? Erneut schüttelte er den Kopf, diesmal aber, um den Dunstschleier zu vertreiben, der seinen Geist vernebelte.
    »Was ist mit ihm geschehen?«, wollte er wissen, und sein alkoholgeschwängerter Atem wehte in Fygens Richtung.
    »Sie haben ihn totgeschlagen«, flüsterte Fygen mit erstickter Stimme und blickte zu Boden.
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