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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition)
Autoren: Ursula Niehaus
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sie aufgestellt, ich meine, vier hätten auch gereicht.«
    Eine dritte, viel tiefere, sonore Stimme ließ sich vernehmen: »Mit seinem Vermögen war es ohnehin nicht so weit her. Und wenn er nun alles verloren hat, dann ist das ja wohl seine eigene Schuld.« Die Sprecherin musste deutlich älter und wohl auch korpulenter sein.
    »Wieso denn das?«, fragte die Naive. »Ich denke, er wurde von einem reichen Kaufmann übervorteilt.«
    »Na, was geht er auch so riskante Geschäfte ein«, brummte die Alte. »Aber leichtsinnig war er immer schon.«
    »Ich möchte nicht wissen, was er nachts da draußen am Fluss zu suchen hatte«, mischte sich die Bissige wieder böse ein.
    »Stell dir vor, wie schrecklich. Einfach hinterrücks erschlagen«, ließ sich die Naive vernehmen.
    »Ja, wer sich mit den Reichen und Mächtigen anlegt …«, unkte die Alte und hinterließ eine böse Andeutung im Raum.
    Hatte Fygen zunächst wie unbeteiligt zugehört, so dämmerte ihr allmählich, dass es ihr Vater war, über den die Stimmen ihr Urteil fällten. Sie konnte nicht erkennen, wer die Frauen waren, deren Stimmen sie gehört hatte, aber die Worte brannten sich durch den Nebel, der seit einiger Zeit ihren Kopf füllte, in ihr Bewusstsein hinein. Ihr Vater war nicht eines natürlichen Todes gestorben. Aber außerhalb der Stadt trieb sich allerhand Gesindel herum. Es kam ab und an vor, dass ein reicher Mann von liederlichem Pack erschlagen und beraubt wurde. Was fiel dieser Alten ein, ihren Vater als leichtsinnig zu bezeichnen!
    Fygen überkam eine unbändige Wut. Auf die Alte, die ihren Vater als leichtsinnig bezeichnete, auf diesen Kaufmann, von dem sie insgeheim überzeugt war, dass er die Schuld am Tode ihres Vaters trug. Und – völlig unsinnig – auf ihren Vater, weil er sich einfach hatte umbringen lassen und sie allein zurückließ. Die Wut fing ganz tief in ihr an, stieg langsam auf und wurde mächtiger und immer mächtiger, bis sie alles mit sich fortriss, alle Vernunft, alle Besinnung und wie eine rote Woge aus Fygen herausbrach.
    Sie schämte sich noch heute, wenn sie daran dachte, wie sie sich vor den versammelten Frauen in der hinteren Stube auf den Boden geworfen und mit beiden Fäusten wild auf die Holzplanken gehämmert hatte. Lautstark hatte sie nach ihrem geliebten Vater geschrien, aber alles Weinen und Brüllen hatte nichts genützt. Ihr Vater war nicht wieder lebendig geworden.

    Fygen spürte ein Echo dieser alten Wut auch jetzt wieder in sich aufsteigen. Es war ungerecht, so ungerecht! Wie konnte ihr Vater sie nur alleine zurücklassen? Wie konnte er zulassen, dass ihr Onkel so über ihre Mutter sprach? Und wie konnte Onkel Mathys es wagen, Hand an sie zu legen?
    Fygen fühlte, wie der Zorn in ihr mächtiger wurde. Er stieg auf und raste ihr heiß durch die Adern. Warum nur? Warum ließ er das zu? Auf einmal war ihr unglaublich warm. Mit einem Ruck setzte Fygen sich auf und schleuderte das Federbett von sich. Tränen strömten ihr über das Gesicht, und dann fing sie an zu schreien. Es war ihr völlig gleich, wenn sie sich später auch für diesen Wutanfall würde schämen müssen. Sie schrie den ganzen aufgestauten Groll aus sich heraus.
    Sie tobte und brüllte, bis sie schließlich erschöpft und kraftlos auf ihr Bett sank. Endlich versiegte der Tränenstrom, und sie drückte das aufgequollene Gesicht in die Kissen. Der fremde und doch so vertraute Geruch von Korianderwasser, das Lijse regelmäßig gegen Flöhe versprühte, hüllte sie behutsam ein, und unmerklich glitt sie hinüber in einen tiefen, fast ohnmächtigen Schlaf.

3. Kapitel
    L ijse hatte Fygens Wutausbruch mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, denn das Schweigen des Kindes hatte ihr schon Sorgen bereitet. Eine frisch gestärkte weiße Schürze vor das Kleid gebunden, gab sie ein gut kölnisch Pfund Mehl, ein wenig weiche Butter, ein paar Löffel Honig und eine Prise Salz auf den blank gescheuerten Tisch in der hinteren Stube, die als Küche, zugleich aber auch als Wohn- und Aufenthaltsraum für Lijse und das Gesinde diente. Sorgsam rollte sie die Ärmel ihres Kleides bis über die Grübchen in ihren rundlichen Ellenbogen auf und tauchte die Hände in den weichen Haufen. Während sie die Zutaten mechanisch zu einem festen Teig knetete, dachte sie beruhigt, dass das Kind wohl keinen ernstlichen Schaden genommen hatte und langsam wieder zu sich kam. Es würde das böse Erlebnis mit dem elenden geilen Bock, der ihr Oheim war, überwinden.
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