Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts
Autoren: Elizabeth Hoyt
Vom Netzwerk:
eigenes, recht ausgeprägtes Kinn. „Vielleicht ist ein fliehendes Kinn ja Voraussetzung, um in die Geistlichkeit aufgenommen zu werden. Was denken Sie, Pynch?"
    „Möglich, Mylord, aber wenig wahrscheinlich."
    „Hmmm."
    Am anderen Ende des Zimmers beförderte Pynch einen Stapel Linnen ins oberste Schrankfach. „Werden Sie den Rest des Tages zu Hause sein, Mylord?"
    „Gott bewahre, nein. Ich habe heute noch wichtigere Angelegenheiten zu erledigen."
    „Führen diese Angelegenheiten Sie zufällig ins Gefängnis von Newgate?"
    Jasper richtete den Blick auf seinen Kammerdiener. Pynchs sonst so ausdruckslose Miene zeigte einen etwas verkniffenen Zug um die Augen, was bei ihm Ausdruck von Besorgnis war.
    „Ich fürchte, ja. Thornton wird bald der Prozess gemacht, und wenn er erst einmal verurteilt und gehängt ist, wird alles, was er uns über die Sache sagen kann, mit ihm in der Versenkung verschwinden.”
    Pynch durchquerte das Zimmer mit einem großen Badetuch in den Händen. „Vorausgesetzt, er hat Ihnen überhaupt irgendetwas mitzuteilen."
    Jasper stieg aus der Wanne und griff nach dem Tuch. „Ja, immer vorausgesetzt."
    Pynch hatte noch immer diesen verkniffenen Zug um die Augen. „Verzeihen Sie, Mylord, ich sage nur ungern, was mir nicht zusteht ..."
    „Und doch sagen Sie es", murmelte Jasper.
    Sein Kammerdiener fuhr fort, als hätte er den Einwurf nicht gehört: „Aber ich mache mir Sorgen, dass dieser Mann sich für Sie zu einer Obsession auswächst. Er ist bekanntlich ein Lügner. Was lässt Sie glauben, dass er jetzt die Wahrheit sagen wird?"
    „Nichts", entgegnete Jasper und warf das Handtuch beiseite, ging zu dem Stuhl, auf dem seine Kleider lagen, und begann sich anzuziehen. „Er ist ein Lügner und Betrüger, ein Mörder, Vergewaltiger und Gott weiß, was noch alles. Nur ein Narr würde seinem Wort Glauben schenken. Aber ich kann ihn nicht dem Galgen überlassen, ohne zumindest versucht zu haben, die Wahrheit aus ihm herauszubekommen."
    „Ich fürchte, dass er ein Spiel mit Ihnen treibt und sich dabei ins Fäustchen lacht."
    „Zweifellos haben Sie recht, Pynch — wie schon so oft." Jasper mied den Blick seines Kammerdieners und zog sich sein Hemd über den Kopf. Er war Pynch erst nach dem Massaker von Spinner's Falls begegnet, bei dem das achtundzwanzigste Infanterieregiment in einen Hinterhalt geraten und hingemetzelt worden war. Pynch war nicht dabei gewesen, weshalb er auch die Obsession seines Herrn nicht verstehen konnte, den Verräter von damals ausfindig zu machen. „Mit Vernunft allein komme ich hier leider nicht weiter. Ich muss zu ihm gehen."
    Pynch seufzte und brachte ihm seine Schuhe. „Wie Sie meinen, Mylord."
    Jasper setzte sich, um seine Schnallenschuhe anzuziehen. „Kopf hoch, Pynch. In einer Woche ist der Mann tot."
    „Wenn Sie das sagen, Mylord”, murmelte Pynch und begann nach dem Bad aufzuräumen.
    Schweigend beendete Jasper seine Garderobe und trat dann an seinen Toilettentisch, um sich das Haar zu kämmen und zu einem schlichten Zopf zu binden.
    Pynch hielt seinen Rock bereit. „Ich gehe davon aus, Mylord, dass Sie Mr Dornings Bitte um Ihren Besuch der Vale'schen Ländereien in Oxfordshire nicht vergessen haben."
    „Verdammt." Dorning war sein Gutsverwalter und hatte wiederholt seine Unterstützung in einer ungeklärten Frage des Grundbesitzes erbeten. Zuerst hatte Jasper ihn wegen seiner bevorstehenden Heirat vertröstet und nun ... „Dorning wird sich einfach noch ein paar Tage gedulden müssen. Erst muss ich mit Miss Flemings Bruder als auch mit Miss Fleming selbst sprechen. Bitte erinnern Sie mich daran, wenn ich wieder zurück bin."
    Jasper schlüpfte in seinen Rock, schnappte sich seinen Hut, und noch ehe Pynch einen weiteren Einwand vorbringen konnte, war er auch schon aus dem Zimmer, lief mit klackernden Absätzen die Treppe hinunter, nickte seinem Butler zu und eilte aus dem Haus. Draußen stand einer der Stallburschen mit Belle bereit, seiner großen grauen Stute. Jasper dankte dem Jungen, schwang sich in den Sattel und beruhigte Belle, die seitwärts tänzelte und auf der Trense kaute. Die Straßen waren recht belebt, weshalb sie nur langsam vorankamen. Jasper ritt nach Westen, in Richtung St Paul's-Kathedrale, deren Kuppel weithin sichtbar die kleineren Gebäude ringsum überragte.
    Die rege Betriebsamkeit Londons hätte kein größerer Gegensatz sein können zur Abgeschiedenheit der wilden Wälder Amerikas, wo alles begonnen hatte. Als wäre es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher