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Starbuck. Der Verräter (German Edition)

Starbuck. Der Verräter (German Edition)

Titel: Starbuck. Der Verräter (German Edition)
Autoren: Bernard Cornwell
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Eins
    D ie Invasion begann um Mitternacht.
    Es war keine echte Invasion, nur ein schwerer Überraschungsangriff auf eine Rebellenstellung, die eine Patrouille in den dichten Wäldern entdeckt hatte, welche sich über die Steilfelsen auf dem Flussufer von Virginia zogen. Doch für die zweitausend Mann, die darauf warteten, den kalten, schiefergrauen Potomac zu überqueren, war die Unternehmung dieser Nacht viel bedeutender als ein bloßer Überraschungsangriff. Dieser Kampf auf der anderen Uferseite bot ihnen Gelegenheit, ihre Kritiker ins Unrecht zu setzen. Kinderstubensoldaten waren sie in einer Zeitung genannt worden; zwar sehr gut ausgebildet und bestens gedrillt, aber viel zu kostbar, um in einer Schlacht schmutzig gemacht zu werden. Doch in dieser Nacht würden die verachteten Kinderstubensoldaten kämpfen. In dieser Nacht würde die Potomac-Armee Feuer und Stahl in ein Rebellenlager tragen, und wenn alles gutging, würde sie weitermarschieren und Leesburg besetzen, eine Stadt, die zwei Meilen hinter der gegnerischen Stellung lag. Die erwartungsvollen Soldaten stellten sich die beschämten Bürger dieser Stadt Virginias vor, wenn sie nach dem Aufwachen bemerkten, dass das Sternenbanner wieder über ihrer Gemeinde wehte, und sie stellten sich vor, wie sie weiter nach Süden marschierten, immer weiter, bis der Aufstand niedergeschlagen und Amerika in Frieden und Brüderlichkeit wiedervereint war.
    «Du Bastard!», schrie jemand am Flussufer, wo ein Arbeitstrupp gerade dabei war, ein Boot zu Wasser zu lassen, das vom nahe gelegenen Chesapeake and Ohio Canal bis an den Fluss getragen worden war. Ein Mann aus dem Arbeitstrupp war im Lehm ausgerutscht und hatte das Heck des Bootes auf den Fuß eines Sergeanten fallen lassen. «Du unfähiger Hundesohn, gottverdammter Bastard, du!» Der Sergeant hinkte von dem Boot weg.
    «Entschuldigung», sagte der Mann nervös.
    «Ich geb dir gleich Entschuldigung, du Bastard!»
    «Ruhe! Seid jetzt ruhig!» Ein Offizier, prächtig anzusehen in einem neuen grauen Mantel mit schönem roten Futter, stieg die steile Uferböschung hinunter und half, das Ruderboot ans graue Wasser hinüberzutragen, von dem zarter Nebel aufstieg und den niedrigen Hang am gegenüberliegenden Ufer verhüllte. Sie arbeiteten bei hellem Mondlicht, keine Wolke stand am Himmel, und die Sterne strahlten so leuchtend und klar, dass sie wie ein Omen für ihren Erfolg wirkten. Es war Oktober, der angenehme Monat, in dem die Luft nach Äpfeln und Holzrauch roch und in dem die glühend heißen Hundstage des Sommers von frischeren Temperaturen abgelöst wurden, die gerade genug Winterkühle ankündigten, um die Männer aus der Truppe dazu zu bringen, ihre schönen neuen Uniformmäntel in der gleichen Farbe wie der dahinziehende Flussnebel zu tragen.
    Die ersten Boote wurden schwerfällig vom Ufer weggeschoben. Klappernd fuhren die Riemen in die Ruderlöcher, dann tauchten sie spritzend ins Wasser, während die Boote im Nebel verschwanden. Die Männer, die noch einen Moment zuvor als fluchende, unbeholfene Gestalten das Lehmufer herunter- und in die klobigen Boote gestiegen waren, verwandelten sich auf wundersame Weise in waffenstarrende Kriegersilhouetten, die schweigend und edel durch die dunstige Nacht den nebeligen Schatten des feindlichen Ufers entgegenglitten. Der Offizier, der sich von dem Sergeanten Ruhe auserbeten hatte, starrte wehmütig übers Wasser. «Ich glaube», sagte er leise zu den Männern an seiner Seite, «so muss sich Washington bei der Überquerung des Delaware gefühlt haben.»
    «Die Nacht damals war allerdings wesentlich kälter, denke ich», erwiderte ein zweiter Offizier, ein junger Student aus Boston.
    «Hier wird es auch bald reichlich kalt werden», sagte der erste, ein Major. «Es sind nur noch zwei Monate bis Weihnachten.» Als der Major in den Krieg gezogen war, hatten die Zeitungen versprochen, dass die Rebellion im Herbst niedergeschlagen sein würde, doch inzwischen fragte er sich, ob er zum weihnachtlichen Familienfest zu Hause bei seiner Frau und seinen drei Kindern sein würde. Am Heiligabend sangen sie immer Weihnachtslieder im Common, einem Bostoner Park; auf den Gesichtern der Kinder lag der Abglanz auf Stangen gehängter Laternen, und danach gab es in der Sakristei der Kirche Punsch und geschmortes Gänsefleisch. Dann, am nächsten Tag, gingen sie zur Farm seiner Schwiegereltern in Stoughton, wo sie die Pferde anschirrten und sie zum Entzücken ihrer Kinder in Wolken von
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