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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts
Autoren: Elizabeth Hoyt
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gestern gewesen, erinnerte er sich an die hohen dunklen Bäume und den reißenden Fluss, in dessen tosendem Lärm die Schreie der sterbenden Soldaten fast untergegangen waren. Beinahe sieben Jahre war es her, dass er Captain in der Armee Seiner Majestät gewesen war und in den amerikanischen Kolonien gegen die Franzosen gekämpft hatte. Die Männer des achtundzwanzigsten Infanterieregiments hatten sich nach dem Sieg von Quebec auf dem Rückmarsch befunden, als sie von Indianern überfallen worden waren. Ihnen war keine Zeit geblieben, sich in Verteidigungsstellung zu begeben. Binnen einer halben Stunde war so gut wie das gesamte Regiment hingemetzelt, einschließlich des Colonels. Jasper und acht weitere Männer hatte man gefangen genommen, zu einem Lager der Wyandot-Indianer verschleppt und ...
    Noch immer bereitete es ihm Mühe, auch nur daran zu denken. Von Zeit zu Zeit tauchten Schatten dieser Zeit am Rande seines Bewusstseins auf, wie ein flüchtiger Blick, den man aus den Augenwinkeln erhascht. Er hatte gedacht, alles sei längst vorbei, die Vergangenheit tot und begraben, wenn auch nicht vergessen. Doch vor sechs Monaten war er auf einer Abendgesellschaft Samuel Hartley begegnet.
    Hartley war seinerzeit Corporal und einer der wenigen gewesen, der das Massaker von Spinner's Falls überlebt hatte. Von ihm wusste Jasper, dass sie einen Verräter in ihren Reihen gehabt haben mussten, der ihre Marschroute an die Franzosen und deren indianische Verbündete weitergegeben hatte. Als Jasper sich Hartley auf dessen Suche nach dem Verräter angeschlossen hatte, waren sie auf einen Mann gestoßen, der die Identität eines der bei Spinner's Falls Gefallenen angenommen hatte: Dick Thornton. Thornton— Jasper tat sich schwer, ihn anders zu nennen, wenngleich es nicht sein richtiger Name war — saß nun in Newgate ein und war des Mordes angeklagt. Aber in der Nacht, als sie ihn gestellt hatten, hatte er behauptet, nicht der Verräter gewesen zu sein.
    Jasper trat Belle in die Flanken, damit sie einen mit reifen Früchten beladenen Karren überholte.
    „Lust auf ein süßes Pfläumchen, Sir?", rief ihm ein hübsches Mädchen mit dunklen Augen zu, das neben dem Karren stand. Neckisch hielt sie ihm eine Frucht hin.
    Jasper grinste. „Jede Wette, dass deine Äpfelchen noch süßer sind."
    Das Gelächter des Mädchens folgte ihm, als er weiter durchs Gedränge ritt. Jasper indes war in Gedanken schon wieder bei seiner Mission. Wie Pynch ganz richtig bemerkt hatte, war Thornton ein ausgemachter Lügner. Hartley hatte nie auch nur den leisesten Zweifel an Thorntons Schuld von sich gegeben. Jasper schnaubte. Kein Wunder hatte Hartley doch mit seiner neuen Frau genug zu tun gehabt: Lady Emeline Gordon — Jaspers erster Verlobter.
    Als Jasper aufsah, stellte er fest, dass er schon bis zur Skinner Street gelangt war, die geradewegs in die Newgate Street mündete. Das imposante Gefängnistor spannte sich über die Straße. Das Gefängnis war nach dem Großen Feuer wiederaufgebaut und passenderweise mit allegorischen Darstellungen geschmückt worden, die so vorbildhafte Tugenden wie Friedfertigkeit und Gnade verkörperten. Doch je näher man dem Gefängnis kam, desto übler wurde der Gestank. Die Luft war verpestet vom Ruch menschlicher Exkremente, von Krankheit, Fäulnis und Verzweiflung.
    Auf einer Seite des Tors befand sich das Wärterhäuschen. Jasper ritt in den Hof und sprang aus dem Sattel.
    Ein Wärter, der neben der Tür gelungert hatte, nahm Haltung an. „Wieder da, Mylord?"
    „Ganz recht, McGinnis."
    McGinnis war ebenfalls Veteran Seiner Majestät und hatte auf irgendeinem fernen Schlachtfeld ein Auge gelassen. Er trug ein schmuddeliges Tuch umgebunden, das die leere Augenhöhle verbergen sollte, doch es war verrutscht und ließ rotes Narbengeflecht sehen.
    McGinnis nickte knapp und brüllte ins Wärterhäuschen. „He, Bill! Lord Vale is' da." Dann wandte er sich wieder an Jasper. „Bill kommt gleich, Mylord."
    Jasper nickte und gab dem Wärter eine halbe Krone, die sicherstellen sollte, dass seine Stute noch sicher im Hof stand, wenn er nachher zurückkam. Gleich bei seinem ersten Besuch an diesem unwirtlichen Ort hatte er herausgefunden, dass sich sein Vorhaben erheblich erleichtern ließ, wenn man die Wärter ordentlich bestach.
    Bill, ein kauziger kleiner Mann mit grauem Haarschopf, kam kurz darauf aus dem Wärterhäuschen. In der rechten Hand hielt er sein wichtigstes Arbeitsgerät: einen großen schweren
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