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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts
Autoren: Elizabeth Hoyt
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Schlüsselbund. Er bedeutete Jasper mitzukommen und ging über den Hof zum Haupteingang des Gefängnisses. Das Vordach war mit eingearbeiteten Handschellen und Fußfesseln geschmückt. Venio sicut fur — Ich komme als Dieb — verkündete ein Zitat aus der Bibel. Bill nickte den Wachen kurz zu, die zu beiden Seiten des Tors postiert standen, und betrat den Bau.
    Der Gestank wurde schlimmer, die Luft war schwer und abgestanden. Bill trottete voraus, einen langen Korridor hinunter und dann wieder nach draußen. Sie überquerten einen großen Innenhof, in dem Gefangene umhergingen oder in kleinen Gruppen zusammenhockten wie Treibgut, das an besonders trostloses Land gespült worden war. Jasper folgte Bill durch ein weiteres, diesmal kleineres Gebäude bis zur Treppe, die in den Flügel der Verdammten führte. Die Zellen lagen unter der Erde, als wolle man den Gefangenen schon einmal einen Vorgeschmack auf die Hölle geben. Die Steinstufen waren feucht und moderig, von vielen Füßen Verzweifelter ausgetreten.
    Der unterirdische Gang war düster. Die Gefangenen mussten selbst für Kerzen zahlen, und die Preise waren astronomisch. Ein Mann sang eine traurige, getragene Melodie, die ab und an in einem hohen Ton gipfelte. Jemand hustete, irgendwo wurde leise gestritten, ansonsten war es still hier unten. Bill blieb vor einer Zelle mit vier Insassen stehen. Auf einem Strohsack lag eine reglose Gestalt, wahrscheinlich schlafend. Zwei Männer spielten beim trüben Schein einer flackernden Kerze Karten.
    Der vierte Mann stand nahe der Gitterstäbe an die Wand gelehnt, richtete sich aber auf, als er sie kommen sah.
    „Herrliches Wetter heute, was, Dick?", rief Jasper ihm zu. Dick Thornton legte den Kopf schräg. „Kann ich ja wohl kaum wissen, was?"
    Jasper schnalzte mit der Zunge. „Tut mir leid, alter junge. Hatte ganz vergessen, dass hier unten nicht viel davon zu sehen ist."
    „Was wollen Sie?"
    Jasper betrachtete den Mann hinter Gittern. Thornton sah recht gewöhnlich aus, war von mittlerer Größe, mit einem nicht unangenehmen, wenngleich wenig bemerkenswerten Gesicht. Das einzig Auffällige an ihm war sein feuerrotes Haar. Thornton wusste verdammt noch mal ganz genau, was er wollte — Jasper hatte ihn oft genug darum gebeten. „Was ich will? Oh, gar nichts. Ich vertreibe mir nur ein wenig die Zeit und bewundere die Sehenswürdigkeiten von Newgate."
    Thornton grinste und zwinkerte hektisch, ein Tick, den er nicht kontrollieren konnte. „Halten Sie mich für blöde?"
    „Keineswegs." Mit Blick auf die fadenscheinigen Kleider Thorntons griff Jasper in seine Rocktasche und zückte eine halbe Krone. „Ich halte Sie für einen Vergewaltiger, für einen mehrfachen Mörder, aber für blöde? Nein, ganz und gar nicht. Da tun Sie mir unrecht, Dick."
    Thornton leckte sich die Lippen und starrte auf die Münze, die Jasper lässig in den Fingern kreisen ließ. „Warum sind Sie dann hier?"
    Scheinbar gedankenverloren blickte Jasper zur stockfleckigen Decke hinauf. „Ich musste gerade daran denken, wie wir — Sam Hartley und ich — Sie an der Princess Wharf gestellt haben. Hatte schlimm geregnet an dem Tag, erinnern Sie sich?"
    „Natürlich erinnere ich mich."
    „Dann wissen Sie bestimmt auch noch, dass Sie behauptet haben, nicht der Verräter zu sein."
    Ein berechnendes Funkeln schien in Thorntons Augen auf. „Das war keine Behauptung. Ich bin nicht der Verräter."
    „So?" Jasper nahm den Blick von der Decke und schaute Thornton in die Augen. „Wissen Sie, genau das ist das Problem. Ich glaube, dass Sie lügen."
    „Wenn ich lüge, werde ich für meine Sünden sterben."
    „Das werden Sie sowieso, und zwar recht bald. Ein Verurteilter muss spätestens zwei Tage nach dem Urteil gehängt werden, so schreibt es das Gesetz vor. Ich fürchte, man wird für Sie keine Ausnahme machen, Dick."
    „ Wenn ich verurteilt werde."
    „Oh, das werden Sie", meinte Jasper freundlich. „Da machen Sie sich mal keine Sorgen."
    „Warum sollte ich Ihnen dann überhaupt noch was sagen?", schnaubte Thornton.
    Jasper zuckte die Achseln. „Weil Sie bis dahin noch ein paar Wochen vor sich haben. Warum nicht den Rest Ihres Lebens mit vollem Bauch und sauber gekleidet verbringen?"
    „Wenn ich dafür 'nen schönen neuen Rock kriege, erzähl' ich Ihnen alles, was Sie hören wollen", murrte einer der Kartenspieler. Jasper überhörte es geflissentlich. „Und, Dick?"
    Mit ausdrucksloser Miene sah Thornton ihn an. Dann zwinkerte er und drückte
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