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Beinssen, Jan

Titel: Beinssen, Jan
Autoren: Goldfrauen
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    Nürnberg, im Sommer 1992
    Gabriele Doberstein fuhr mit ihrem Zeigefinger langsam über die blank polierte Oberfläche eines Nussbaumtisches. Ihre langen, gelockten Haare hatte sie wie meist mit einem Haarreif gebändigt. Ihr Kleid war konservativ, fast schon eine Spur spießig, was ihr durchaus bewusst und sogar gewollt war. Ihre graugrünen Augen wurden von Fältchen umspielt, die ihr die Reife einer Frau gaben, die der Jugend schon seit mehr als zwei Jahrzehnten entwachsen war.
    Während sie ihre Finger die kaum wahrnehmbare Maserung des weichen Holzes spüren ließ, beobachtete sie eine Kundin, die sich schon über eine Viertelstunde in Gabrieles Antiquitätenhandlung aufhielt, sich die verschiedensten Dinge ansah, dabei aber auf unbestimmte Weise ziellos wirkte. Diese Art von Kunden mochte Gabriele gar nicht. Erschwerend kam hinzu, dass die Frau sie von der Haarfarbe, der Frisur und sogar von den dunkel umschminkten Augen her an Ulrike Meinhof erinnerte. Ausgerechnet – das Ebenbild einer Terroristin in Gabrieles gutbürgerlichem Nürnberger Antiquitätengeschäft!
    Natürlich war Gabriele bewusst, dass sie sich als Geschäftsfrau Vorurteile dieser Art nicht erlauben durfte. Aber niemand kann aus seiner Haut, und Gabriele war nun mal ein von Grund auf konservativer Mensch mit starken Vorbehalten gegenüber Personen, die ihr – sei es auch nur durch ihr Äußeres – zu weit ›links‹ erschienen. Bei Kundin Meinhof war dies zweifellos der Fall.
    Umso erleichterter war Gabriele, als sich die Frau endlich auf eines der Exponate festzulegen schien – entgegen jeder Erwartung sogar auf eines der kostspieligeren Ausstellungsstücke aus Gabrieles Sortiment. Die Kundin richtete ihre Konzentration auf einen Biedermeiersekretär, ein hübsches, ausgesprochen gut erhaltenes Exemplar, welches Gabriele vor geraumer Zeit im Zuge einer Haushaltsauflösung zu einem Spottpreis ergattert hatte. Das schlanke Möbelstück hatte es seitdem schon so manchem Besucher angetan, aber Gabrieles stolze Forderung von 3.900 Mark hatte die Interessenten abgeschreckt. Nun wollte sie nicht den gleichen Fehler wiederholen und die Kundin erst einmal in Ruhe sondieren lassen, bevor sie sie mit der zu zahlenden Summe konfrontieren würde. Also zog sich Gabriele dezent ins Hinterzimmer zurück und ließ einige Minuten verstreichen.
    Plötzlich hörte sie ein aufgesetztes Husten, zog den trennenden Vorhang zum Verkaufsraum zurück und sah sich der Kundin unmittelbar gegenüber: »Huch«, entfuhr es Gabriele.
    »Entschuldigen Sie«, sagte die Frau mit freundlicher, klarer Stimme. »Ich wollte Sie nicht erschrecken.«
    Gabriele erholte sich schnell. »Haben Sie sich denn für etwas entschieden?«, spielte sie die Ahnungslose und sah sich bereits die Geldscheine für den Sekretär zählen.
    Die Frau blickte sich um, schielte in Richtung des Biedermeiersekretärs und nickte verhalten. »Sagen wir so: Ich habe einen Favoriten, den ich gern reservieren lassen würde, wenn das möglich ist. Meine endgültige Entscheidung kann ich unmöglich in so kurzer Zeit treffen.«
    »Nicht?«, fragte Gabriele sichtlich enttäuscht. »Wollen Sie denn wissen, was er kosten soll?«
    Die Kundin schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich bin sicher, dass der Preis diesem schönen Stück angemessen ist.« Und dann legte sie, als wäre es ein leichter Mantel, ihren Namen ab, den Gabriele doch so treffend fand: »Wenn ich mich vorstellen darf: Cornelia Probst.« Sie reichte Gabriele eine schmale Hand mit farblos lackierten Fingernägeln. »Ich bin Redakteurin beim Stadtanzeiger.«
    »So?« Gabriele zog augenblicklich ihre Hand zurück. »Da war doch letzte Woche erst ein Herr bei mir. Dem habe ich klipp und klar gesagt, dass ich zurzeit keine Anzeigen schalten möchte.«
    »Nein, nein«, korrigierte die Frau geflissentlich. »Sie haben mich da falsch verstanden. Ich bin nicht von der Anzeigenabteilung. Ich schreibe für die Redaktion und möchte ein Interview mit Ihnen führen. Das kostet Sie selbstverständlich gar nichts.«
    »Ach so«, sagte Gabriele noch immer misstrauisch.
    Dann aber erkannte sie die Chance, kostenlose Werbung für ihr Geschäft machen zu können. »Wird das eine Reihe über exklusive Läden in der Nordstadt? Das ist eine gute Idee, gerade für etwas abgelegene Standorte wie hier in der Pirckheimerstraße.«
    Abermals verbesserte die Journalistin: »Nein. Ich würde mit Ihnen gern über die Ereignisse des vergangenen Jahres sprechen. Es geht mir
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