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Rückgrad

Rückgrad

Titel: Rückgrad
Autoren: Philippe Djian
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    Jedesmal, wenn ich Paul Sheller auf mich zukommen sah, hatte ich Lust, ihn zu töten. Sogar, wenn ich ihn besuchte. Einige Sekunden lang starrte ich auf seine Kehle, die wie ein kleiner weißer Vogel zuckte, dann verflüchtigte sich diese Vision, und ich hatte das Gefühl, mein Leben sei weniger toll, als ich mir gewünscht hätte. Danach gaben wir uns die Hand.
    Paul strahlte immer, als lege er einem gerade die Sterne zu Füßen. Ob es sich nun um zwei, drei lausige Blätter handelte, dazu bestimmt, in irgendeinem Prospekt zu verkümmern, oder um ein paar Zeilen für eine etwas schwatzhafte Werbeagentur, die Art, wie er einen empfing, wie er einem beide Hände entgegenschleuderte, führte dazu, daß man sich den verrücktesten Hoffnungen hingab. Mitunter machte ich ihm das zum Vorwurf …
    - Was erhoffst du dir, fragte er mich dann, was erhoffst du dir eigentlich …?
    Ich gab ihm lieber keine Antwort. Ich steckte den Scheck ein, und er stapfte bis zur Tür hinter mir her.
    - Spuck nicht drauf …. riet er mir in freundschaftlichem Ton.
    - Nein, ich spucke auf gar nichts. Aber dein Büro macht mich depressiv.
    - Meine Güte, das ist doch nicht meine Schuld …! Meistens blieb ich am Ende des Flurs stehen, und ich wandte mich um. Ich wußte, wer dafür verantwortlich war, und er, er wußte es auch. Einen Moment lang schlugen wir im Teppichboden Wurzeln, ohne jedoch über irgendein der Wahrheit verwandtes Thema nachzusinnen. Die Große Ära war nur noch eine blasse Erinnerung. Seither hatten wir uns nichts Besonderes mehr zu sagen, naja, nichts Sensationelles.
    Einige Jahre zuvor, als ich noch Bücher schrieb, hatten die Leute vom Film ein Auge auf mich geworfen, und noch heute ließ man mich an etlichen Drehbüchern Hand anlegen, aber nichts sehr Originelles, nichts, das sonderlich aufregend gewesen wäre, und Paul stimmte mir da zu.
    - Trotzdem, guck dir doch bitte den Scheck an, seufzte er. Ich glaub, ich hab den Höchstpreis rausgeschlagen …!
    Es war nicht zu leugnen, ich verdiente redlich, reservierte mir Paul doch auch die Fernsehserien und Kriminalhörspiele. Ich verdiente redlich an Dingen, die ich zu einer früheren Zeit meines Lebens verachtet hatte. Der Gedanke war nicht gerade angenehm. Daher hatte ich jedesmal, wenn ich Paul Sheller sah, Lust, ihn zu töten.
    Ich war mit einigem Abstand der Älteste der ganzen Truppe, um die er sich kümmerte. Die anderen waren noch junge Schriftsteller, die sich ihres Talentes vollkommen sicher waren, und Geld schien sie nicht zu interessieren, sie wollten bloß, daß ihre Bücher veröffentlicht wurden. Manchmal lief ich einem von ihnen in Pauls Büro über den Weg, und indem ich ihn aus dem Augenwinkel beobachtete, erinnerte ich mich, wie schön es war und wie angenehm, seiner eigenen Kraft zu vertrauen. Ich wußte nicht mehr so recht, wann mir dieses Gefühl abhanden gekommen war, das war ziemlich unklar. Paul spendierte mir einen Schluck, wenn sich das Gespräch mit dem jungen Kerl in die Länge zog. Und ich verhielt mich ruhig. Ich wartete geduldig, bis ich an der Reihe war. Ich wartete, bis er zu der B-Klasse kam.
    Ich stand in dem Ruf, gute Arbeit zu leisten. Nichts Geniales oder sehr Persönliches, aber dafür wurde ich auch nicht bezahlt. Ich mußte zusehen, daß der Kram einigermaßen Hand und Fuß hatte, ohne allzuviel zu kosten, und daran hielt ich mich. Innerhalb weniger Jahre war ich ein echter Profi geworden. Daß es einem jungen Schriftsteller widerstrebte, sein Talent mit jener Art von Literatur zu vergeuden, die mein tägliches Brot war, fand ich nur natürlich. Wenn einer von ihnen eine Rechnung erhielt oder etwas zu essen gedachte, schusterte ihm Paul einen kleinen, problemlosen Auftrag zu, den er nicht einmal zu signieren brauchte, und die Sache war aus der Welt. Mir persönlich machte es nichts aus, zu signieren. Es bereitete mir sogar ein gewisses Vergnügen, meinen Namen im Vorspann zu sehen, insbesondere bei den ganz miesen Streifen. Einst war dieser Name ganz oben im hellsten Glanz erstrahlt. Was den Platz anging, den er inzwischen einnahm, da war ich der einzige, der dessen gesamte Lächerlichkeit auskosten konnte. Aber war es für einen Mann nicht unerläßlich, ein paar Stunden in puncto Demut zu nehmen?
    Jedesmal, wenn ich Paul Sheller sah, ermaß ich den Weg, der hinter mir lag.
    Bevor ich sein Büro betrat, küßte ich Andrea, seine Sekretärin, vielleicht eines der letzten Wesen dieser Erde, das sich noch erinnerte, daß ich einst
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