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Das Geheimnis des Viscounts

Titel: Das Geheimnis des Viscounts
Autoren: Elizabeth Hoyt
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auf ihre ausgestreckte Hand; schließlich ergriff er sie. Doch statt den Handel mit einem kurzen Handschlag zu besiegeln, beugte er sich vor und küsste ihr die Hand. Der Hauch seiner warmen Lippen ließ sie vor Sehnsucht fast erschauern.
    Er richtete sich wieder auf. „Ich hoffe, dass Sie mir auch nach unserer Hochzeit noch danken werden, Miss Fleming."
    Sie wollte etwas erwidern, doch er hatte sich schon zum Gehen gewandt. „Tut mir leid, ich habe einen fürchterlichen Brummschädel. Wie wäre es, wenn ich in drei Tagen bei Ihrem Bruder vorstellig würde? Drei Tage sollte ich schon den untröstlichen, da verschmähten Liebhaber spielen, meinen Sie nicht? Alles andere könnte ein schlechtes Licht auf Miss Templeton werfen."
    Mit einem feinen, ironischen Lächeln schloss er die Tür hinter sich.
    Melisande ließ die Schultern sinken, alle Anspannung wich von ihr. Einen Moment noch starrte sie ungläubig auf die Tür, dann sah sie sich um. Die Sakristei war klein, etwas unordentlich, nichts Besonderes. Keineswegs der Ort, an dem man es erwarten würde, sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt zu sehen. Und doch: Wenn die letzte Viertelstunde nicht bloß ein Tagtraum gewesen war, dann hatte ihr Leben hier, an diesem unspektakulären Ort, eine neue und gänzlich unerwartete Wendung genommen.
    Sie betrachtete ihre Hand, die er eben geküsst hatte. Seit Jahren kannte sie Jasper Renshaw, Viscount Vale, hatte ihn von fern verehrt, doch in all der Zeit hatte er nicht ein einziges Mal die Gelegenheit gehabt, sie zu berühren. Sie drückte sich den Handrücken an den Mund und schloss die Augen, stellte sich vor, wie es wäre, wenn seine Lippen die ihren berührten. Allein der Gedanke ließ sie am ganzen Leib erbeben.
    Dann hielt sie sich wieder aufrecht, straffte die Schultern, strich über ihre ohnehin tadellos geplätteten Röcke und tastete mit den Fingerspitzen über ihr Haar, um sich zu vergewissern, dass alles an seinem Platz war. Gerade wollte sie die Sakristei verlassen, da stieß sie mit der Schuhspitze an etwas. Ein silberner Knopf lag auf den alten Steinplatten. Melisande bückte sich, hob ihn auf und hielt ihn ins Licht. Der Buchstabe V war ins Silber geprägt. Einen Moment starrte sie darauf, ehe sie den Knopf im Ärmel ihres Kleides versteckte.
    Dann verließ sie die Sakristei.
    „Pynch, haben Sie je davon gehört, dass einem Mann an ein und demselben Tag die Braut abhandenkommt, er dafür aber eine Verlobte gewinnt?", fragte Jasper launig seinen Kammerdiener.
    Es war später Nachmittag, und er lag in seiner extragroßen, eigens für ihn angefertigten Badewanne.
    Pynch stand in der anderen Ecke des Zimmers und mühte sich, Ordnung in den Kleiderschrank zu bringen. „Nein, Mylord", erwiderte er, ohne sich umzudrehen.
    „Dann könnte ich also fast in die Geschichte eingehen. Man sollte eine Statue zu meinen Ehren errichten lassen. Kleine Jungen würden staunend zu ihr aufsehen, von ihren Kindermädchen ermahnt, ja nicht in meine wankelmütigen Fußstapfen zu treten."
    „Gewiss, Mylord", erwiderte Pynch.
    Pynchs Stimme war genau so, wie es sich für einen Kammerdiener gehörte — sonor, geschmeidig und durch nichts aus der Ruhe zu bringen —, wenngleich gesagt werden muss, dass alles andere an ihm dafür so gar nicht den Vorstellungen entsprach, die man sich gemeinhin von einem Kammerdiener machte. Pynch war ein stattliches Mannsbild, ein wahrer Schrank von einem Mann. Er hatte einen kräftigen Stiernacken, Hände wie Schinkenkeulen und einen riesigen, kahlen Schädel. Pynch sah aus wie ein Grenadier, ein kampferprobter Infanterist, der sich durch feindliche Stellungen zu schlagen gedachte.
    Was daran liegen mochte, dass Pynch genau das dereinst in Seiner Majestät Armee getan hatte — bis er wegen einer kleinen Meinungsverschiedenheit mit seinem Sergeant einen ganzen Tag lang an den Pranger gestellt worden war. Dort war Jasper auf ihn aufmerksam geworden. Die unerschütterliche Ruhe, mit der Pynch es ertragen hatte, mit verfaultem Gemüse beworfen zu werden, hatte ihn so sehr beeindruckt, dass er diesen Mann sogleich nach dessen Freilassung als seinen Offiziersburschen verpflichtet hatte. Pynch hatte dankend angenommen. Zwei Jahre später, als Jasper sein Patent veräußert hatte, hatte er auch Pynch freigekauft und war mit ihm als seinem Kammerdiener nach England zurückgekehrt. Eine für alle Beteiligten erfreuliche Entwicklung der Ereignisse, befand Jasper, streckte seinen Fuß aus dem Bad und
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