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Ed King

Ed King

Titel: Ed King
Autoren: David Guterson
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1
    Die Affäre mit dem Au-pair
    1962 beging Walter Cousins den größten Fehler seines Lebens: Er schlief einen Monat lang mit dem Au-pair. Sie war eine englische Austauschschülerin und hieß Diane Burroughs. Er war Versicherungsstatistiker bei Piersall-Crane, Inc., und seine Frau hatte in diesem Sommer einen Nervenzusammenbruch erlitten. Diane machte noch keine Woche den Haushalt, versorgte die Kinder, putzte und kochte, als er bemerkte, dass sich in seiner Meinung über sie eine neue Vokabel drängte. »Da stehe ich nun«, dachte Walter, »ein Versicherungsstatistiker, der von der Abwägung von Risiken lebt, und mit einem Mal, weil er sich in die falsche Person verguckt hat und eine Achtzehnjährige ihm den Kopf verdreht, von ›Schicksal‹ spricht.«
    Diane war Walter durch eine Aushilfskraft im Büro vermittelt worden, die ihre gegenwärtige Gastfamilie kannte und von »einem netten Mädchen aus Großbritannien« gesprochen hatte, »das zur Verlängerung seines Visums einen Job braucht«. Für Walter, der mit vierunddreißig Jahren noch nie außerhalb von Nordamerika gewesen war, klang der Ausdruck »Au-pair« zu hochtrabend, und er hatte gesagt: »Sie meinen einen ›Babysitter‹?« Sogleich bereute er, dass er so nach Provinz klang, und fügte hinzu: »Meinetwegen auch Kindermädchen.« Die spitze Antwort seiner Mitarbeiterin folgte prompt. Sie war jünger als er, trug Respekt einflößende Stiefel und schien gänzlich immun gegen einen Flirt mit jemandem wie Walter. »Nein, Au-pair ist schon richtig«, sagte sie. »Sie kommt aus dem Ausland. Wenn Sie ihr einen Job geben, sind Sie Ihr Gastvater und bezahlen sie dafür, dass sie sich um Ihre Kinder kümmert, den Haushalt macht oder was auch immer.«
    »Au-pair« also. Walter notierte sich die Telefonnummer, redete mit Dianes Gastmutter und danach mit dem Mädchen selbst. Da er dringend Hilfe brauchte und nicht wählerisch sein durfte, stellte er sie vom Fleck weg ein. »Es ist nicht einfach zu erklären«, sagte er, »aber meine Frau ist … im Krankenhaus.«
    Am anderen Ende hörte er jenen typisch britischen Tonfall, dessen Charme er sich nicht entziehen konnte. »Im Krankenhaus«, sagte sie. »Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.«
    »Nein«, sagte er, »aber da sind unsere beiden Kinder. Vier und drei. Barry und Tina. Den Windeln entwachsen, aber nicht leicht zu bändigen.«
    »Dann erlauben Sie mir ein kleines bisschen unverfrorene Eigenwerbung. Was Sie brauchen, Sir, ist ein englisches Au-pair, das ein Seil schwingen kann.«
    »Sie meinen ein Lasso.«
    »Ein Mädel mit Lasso also, das sich nicht so leicht die Butter vom Brot nehmen lässt.«
    »Das brauche ich. Etwas in der Richtung.«
    »Nun«, sagte Diane, »dann bin ich genau Ihr Mädchen.«
    Eine so forsche Art zu reden – scheinbar harmlose Sätze, die zugleich voller Anzüglichkeiten steckten – aus dem Mund einer Schülerin, die einen Job brauchte, war neu für sein amerikanisches Ohr. Diane klang schlagfertig und herausfordernd – Eigenschaften, die er immer schon als einnehmend und attraktiv empfunden hatte –, auch in ihrer Tirade gegen das US-Außenministerium und seine undurchschaubaren Visa-Regelungen. »Ich möchte nach wie vor gerne auf ein amerikanisches College gehen«, erklärte sie ihm, »aber im Augenblick bin ich stinksauer auf Ihre Passbehörde in Seattle. Die wollen mich allen Ernstes rausschmeißen.«
    Am nächsten Sonntag fuhr Walter mit seinem Lincoln Premiere, die beiden protestierenden Kinder auf dem Rücksitz, hinaus nach Seward Park, um das Mädchen von der großen viktorianischen Villa seiner Gastfamilie in seinen einstöckigen, mit Ziegelsteinen verblendeten Bungalow in Greenwood zu holen. Er hoffte, Diane wäre nicht zu sehr enttäuscht, wenn sie den Abstieg bemerkte, und als er auf der gepflasterten Auffahrt vor der Villa hielt, stellte er sich vor, wie er sich dafür entschuldigte, dass er in puncto Glamour und Ambiente nichts zu bieten hatte. Seward Park strotzte nur so vor altem Geld, Seeblick inklusive. Greenwood hingegen war schäbig und heruntergekommen, mit sonnenverbrannten Rasenflächen und verbogenen Regenrinnen. Natürlich hätte Walter eine attraktivere Wohngegend vorgezogen, aber sein Berufsstand war für seine mittelmäßigen Gehälter bekannt, eine Tatsache, um die er sich als Student an der Universität von Iowa nicht gekümmert hatte, die ihn aber jetzt, da es zu spät war, betrübte. Nicht dass er mit seiner Arbeit bei Piersall-Crane unzufrieden
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