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Ed King

Ed King

Titel: Ed King
Autoren: David Guterson
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Um halb zehn brachte Diane die Kinder im einzigen Schlafzimmer des Hauses zu Bett. Diane sollte später mit Tina in Lydias altem, muffigem, weichem Bett schlafen. Barry schlief direkt daneben auf einer schmalen Campingliege. Walter würde sich ins Schlafloft zurückziehen, mit seinen Spinnweben, der stickigen Luft und Scharen von Fliegen, doch erschien ihm die Aussicht so wenig reizvoll, dass er es sich mit einem Bier auf dem Sofa bequem machte, die Beine hochlegte und den Roman Kanonenboot am Yangtse-Kiang las.
    Gegen zehn schlüpfte Diane aus dem Schlafzimmer. Ihre Haare standen an einer Seite vom Kopf ab, weil sie vermutlich darauf gelegen hatte. Sie trug immer noch das karierte Strandkleid, das an den Hüften zerknittert war. Ohne ihn zu fragen, ging sie zur Tür, öffnete sie und stellte einen von Barrys Gummistiefeln dazwischen. »Warm hier drinnen«, erklärte sie.
    »Zum Glück haben wir keine Mücken«, erwiderte er.
    »Ich mach wieder zu, wenn’s Ihnen lieber ist, ja? Was immer Sie möchten. Es ist Ihr Haus.«
    Er legte das Buch zur Seite und sagte: »Diane, aber nicht doch. Es geht nicht darum, was ich möchte, sondern was Sie möchten. Wenn Sie die Nachtluft hereinlassen möchten, dann machen Sie die Tür nur ganz weit auf.«
    Diane lächelte und zog vielsagend die Augenbrauen hoch. »Was ich möchte? Tatsächlich? Dann lassen Sie uns was spielen.«
    Walter schwang seine Füße auf den Boden, nahm sein Bier in die Hand und tat so, als wäre er von der Idee begeistert. »Welches Spiel denn?«, fragte er.
    »Das Spiel des Lebens«, sagte Diane und deutete auf ein Regal mit lauter ramponierten Spielkartons. »Das kenn ich.«
    Zusammen bauten sie das Spielbrett auf dem Küchentisch auf. Als er fragte, ob sie ein Dr. Pepper wolle, nahm sie dankend an, und als er sie aufforderte, eine Spielfigur zu wählen, nahm sie den roten und er den grünen Wagen. Dann machten sie ihre Züge entlang der Spielstrecke, vorbei an Bergen, Bäumen und Häusern, bis Diane sich ander ersten Weggabelung für die College-Route entschied und Walter spöttisch anmerkte: »Der Weg über das College ist nicht automatisch der beste. Es mag vielleicht so aussehen, aber es ist ganz bestimmt nicht immer so.«
    »Und woher wissen Sie das?«
    »Ich bin älter als Sie.«
    »Wie alt genau?«
    »Alt genug, um zu wissen, dass man nicht aufs College gehen sollte, ohne es sich gut überlegt zu haben.«
    »Nun«, sagte Diane und drehte das Glücksrad, »das habe ich. Gut überlegt.«
    »Na prima«, erwiderte Walter, »aber sehen Sie nur, was Sie davon haben. Ich spiele meine Berechtigungskarte aus, und die Hälfte Ihres Gewinns gehört mir. Her damit.«
    Diane wedelte drohend mit dem Finger. »Immer mit der Ruhe«, sagte sie. »Ich kann immer noch meine Befreiungskarte einsetzen.«
    Er kaufte Versicherungspolicen, sie nicht, und zuletzt erwies sich seine vorausschauende Strategie als erfolgreich. Aber gerade, als er schon gewonnen zu haben glaubte, landete Diane auf dem Glückstage-Feld und bekam zwanzigtausend Dollar ausgezahlt. Sie beschloss, alles auf eine Karte zu setzen und mit einer einzigen Drehung des Glücksrads alles zu verlieren oder dreihunderttausend Dollar Gewinn zu machen und in Führung zu gehen. »Tun Sie’s nicht«, warnte er. »Die Chancen stehen vier zu eins gegen Sie.«
    »Nur her mit der Glückszahlenleiste«, antwortete sie.
    Nachdem sie die zwanzigtausend Dollar verloren hatte, nahm sie einen Schluck von ihrem Dr. Pepper und sagte: »Sie sind dran, Walter. Zumindest hab ich’s versucht.«
    Hatte sie ihn schon einmal mit seinem Vornamen angesprochen? »Walter« war ein gutes Zeichen. »Walter« hieß, dass die Dinge sich entwickelten. Keine Frage, es gab einen Trend zu mehr Vertraulichkeit. »Sie haben es versucht«, sagte er. »Und jetzt sind Sie pleite.«
    Zuletzt setzte er sich als Millionär zur Ruhe, während Diane, weit zurückliegend, noch einmal alles riskierte und mit einer Drehung des Rades als Industriemagnat an ihm vorbeizuziehen hoffte. Stattdessen verlor sie alles und nahm ihren Wagen unbekümmert angesichts der Niederlage vom Spielbrett. »Gratuliere«, sagte er. »Noch eine Runde?«
    »Nein«, antwortete sie. »Man bekommt nur eine Chance im Leben. Ich bin aufs College gegangen, habe geheiratet, einen Job gefunden und Kinder bekommen, ein Haus gekauft, ein Auto gekauft, zwei Autos gekauft – was will man mehr?«
    Wollte sie sich über ihn lustig machen? Die Entscheidungen in seinem Leben verurteilen?
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