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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings
Autoren: Marina Fiorato
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Feuer fangen. Wieder wurde mein Gebet erhört, aber anders, als ich gedacht hatte, denn die Rolle ging zischend in Stichflammen auf, die mir die Augenbrauen zu versengen drohten. Signore Cristoforos Tinte musste irgendeine Substanz enthalten, die bewirkte, dass das Holz sofort taghell brannte.
    Ich ging, die brennende Rolle so weit wie möglich von mir weghaltend, zum Fenster. Hoffentlich konnte ich sie hinunterwerfen, bevor die Flammen meine öligen Finger erreichten. Bruder Guido setzte das Boot ab und schlang sich seinen nassen Umhang um die Hände. »Lass sie vorsichtig herunterfallen, Luciana.«
    Ich tat, wie mir geheißen, obwohl ich fürchtete, der Luftzug könnte die Flamme löschen. Zu meiner Erleichterung fiel die Fackel wie ein Komet mit einem feurigen Schweif in die Tiefe, Bruder Guido fing sie geschickt auf und schickte sich an, die Felsen hinunterzuklettern. Aber ich konnte ihn nicht gehen lassen, ohne ihm eine letzte Frage zu stellen. »Was ist geschehen?«
    »Ich konnte das Signalfeuer nicht entzünden. Zu nass«, rief er zurück.

    »Und jetzt willst du diese Fackel bis zu den Klippen tragen?«, kreischte ich ungläubig. »Das schaffst du nie!«
    »Ich weiß. Signore Cristoforo hat eine andere Idee. Ich bringe das Feuer zu seinem Schiff. Er will es in Brand stecken und dann in die feindliche Flotte hineinsegeln. Die Muda ist keine halbe Leuge mehr von hier entfernt - über tausend Schiffe!«
    Der Irrsinn dieses Plans verschlug mir den Atem. »Ihr werdet sterben! Alle beide! Der Sturm, das Feuer...«
    Er schnitt mir ungeduldig das Wort ab. »Besser zwei Opfer als Tausende.« Er setzte das Boot auf das tosende Wasser, kletterte hinein, nahm die Fackel zwischen die Zähne und griff nach den Rudern.
    »Tu das nicht!«, schrie ich, so laut ich konnte. »Lass sie doch kommen! Warum ist dir das so wichtig?«
    Er sah ein letztes Mal zu mir auf. »Du weißt, warum.«
    Ich sah hilflos zu, wie er gegen die schwarzen Wellenberge ankämpfte; fürchtete, er könne an den Felsen zerschellen, aber er war ein guter Ruderer, es gelang ihm, sich von der tückischen Küstenlinie zu lösen. Das Licht wurde kleiner und kleiner. Ich hatte Angst, die Fackel könne erlöschen, und wünschte zugleich, sie würde es tun. Ich wusste nicht, ob ich wollte, dass er seinen Plan erfolgreich durchführte, oder ob ich insgeheim hoffte, er würde versagen und zurückkommen.
    Die Fackel flackerte, drohte zu ersterben. Dann schoss im Boot eine Flamme in die Höhe - er hatte irgendetwas als Zunder benutzt, um sie am Leben zu erhalten. Jetzt begriffich, dass er keine Überlebenschance hatte. Voller Entsetzen verfolgte ich, wie das brennende Boot einen größeren Schatten beleuchtete; die hohe, dunkle Silhouette eines genuesischen Schoners. Das Boot wurde mit Enterhaken herangezogen, kleinere Feuerpunkte glommen auf, als die Seeleute weitere Fackeln entzündeten. Dunkle Gestalten steckten die Segel in Brand. Im nächsten Moment verwandelte sich das gesamte Schiff in eine Flammenhölle - sie mussten die Segel mit Öl getränkt haben.
Einige Schatten hoben sich von dem Feuerschein ab und verschwanden im Wasser - Signore Cristoforo und seine tapfere Mannschaft, nahm ich an. Dann glitt das brennende Schiff zielsicher auf das Flaggschiff der Muda zu; zehn, zwanzig, hundert Schiffe gingen in Flammen auf, bis schließlich der Ozean selbst zu einer einzigen Feuersbrunst wurde. Schreie zerrissen die Luft, und Chaos brach aus, während ich verzweifelt nach der kleinen brennenden Barke Ausschau hielt - ein hoffnungsloses Unterfangen, genauso gut hätte ich in einem Kaminfeuer nach einem einzelnen brennenden Zweig suchen können. Doch dann sah ich zu meinem abgrundtiefen Entsetzen zum zweiten Mal in dieser Nacht eine menschliche Gestalt in Flammen stehen - auf einem lichterloh brennenden Boot, kaum größer als eine Nussschale. Die Gestalt breitete die Arme aus wie Christus und rief ein paar Worte, bevor sie sich in die Wellen stürzte.
    Ich tat, worum Bruder Guido mich gebeten hatte, und betete.

7
    Der erste Tag des Frühlings brach kalt und regnerisch an.
    Der Sturm hatte sich zwar gelegt, doch ein feiner Nieselregen durchtränkte mein Haar und meine Kleider. Ich stand an dem Ort, an dem Lorenzos Traum gestorben und mein eigener zerschlagen worden war. Er hatte sich nach einem mächtigen Reich gesehnt, ich mich nach einem Mann. Ein großer Traum und ein kleiner. Beide erbarmungslos zunichtegemacht.
    Mehr als nur Träume waren hier gestorben.
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