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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings
Autoren: Marina Fiorato
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Lächeln erhellt wurde; nicht einmal der Anblick der Frauen und Kinder, die wir gerettet hatten, hob meine Stimmung. Endlich erreichte ich den großen gestreiften Palast mit den mächtigen Toren; wohl wissend, dass ich meine Wahl getroffen hatte, sobald ich meine Hand auf das Holz legte.
    Ich rief die Wächter und nahm mein Schicksal an.
    Ich wurde in den luftigen Empfangssaal geführt, als wäre ich die Königin von Saba - mein Ruhm schien sich wie ein Lauffeuer verbreitet zu haben, und die Stadt wusste, dass sie in meiner Schuld stand. Aus irgendeinem Grund verspürte ich eine leichte Scham, als die Wächter und die Diener mir
die Hände küssten; ich meinte, das nicht verdient zu haben. Diese Ehrbezeugungen standen anderen zu, die nicht mehr am Leben waren. Mir wurde ein goldener Stuhl zugewiesen, man brachte mir einen Becher Wein und teilte mir mit, der Doge würde mich gleich empfangen.
    Fast im selben Moment öffnete sich die Tür erneut, und eine andere hochrangige Persönlichkeit wurde mir gegenüber auf einen Schemel gesetzt, um auf den Dogen zu warten. Für ihn gab es jedoch weder einen goldenen Stuhl noch Wein, sondern nur die Ketten, mit denen seine Hände gefesselt waren.
    Die Tür wurde wieder geschlossen, und für eine kurze, unglaubliche Weile war ich mit Lorenzo de’ Medici allein.

8
    Er beugte sich vor und musterte mich ohne erkennbare Feindseligkeit, dafür aber mit immensem Interesse. Ich hielt seinem Blick stand, denn ich hatte in den letzten Stunden gelernt, dass man nichts mehr fürchten musste, wenn man nichts mehr zu verlieren hatte.
    »Warum wolltet Ihr mich aufhalten?« Die Frage wurde mit völligem Ernst gestellt. Er wollte es wirklich wissen. »Warum war Euch das so wichtig?«
    Ich zuckte zusammen, als ich begriff, dass er exakt meine letzten Worte an Bruder Guido gebrauchte. Du weißt, warum. Und plötzlich wusste ich, warum es mir so wichtig gewesen war.
    »Weil in Genua zwei Brüder einen Kartenladen am Meer betreiben und davon träumen, neue Länder zu entdecken. Weil man in Bozen etwas isst, was Knödel heißt, und verrückte Tänze aufführt. Weil es in Pisa einen Turm gibt, der sich zur Seite neigt, aber nicht umkippt, und zwei Parteien
jedes Jahr einen Baumstamm über eine Brücke schleppen. Weil in Venedig eine Stadt auf dem Wasser erbaut worden ist und aus Staub wunderschönes Glas hergestellt wird. Weil man in Neapel an jeder Straßenecke eine Darstellung der Geburt Christi und gleich nebenan einen menschlichen Schädel kaufen kann. Weil ein Mann in diesem Land« - ich hatte Mühe weiterzusprechen, ohne dass meine Stimme zitterte - »seine Stadt so lieben kann, dass er sich opfert, damit sie so bleibt, wie sie ist.«
    Ich brach ab und unterdrückte die aufsteigenden Tränen, weil ich nicht wollte, dass er mich weinen sah. Er sagte nichts, aber der Ausdruck seiner granitenen Augen wurde unmerklich weicher. Da ich wusste, dass ich nie wieder die Gelegenheit dazu bekommen würde, stellte ich ihm meinerseits eine Frage. »Warum wolltet Ihr das tun?«
    »Weil ich Italien zu einer großen Nation machen wollte«, erwiderte er schlicht.
    Ich sah ihn voll stummer Qual an. »Das war es doch schon«, flüsterte ich. »Ihr habt es nur nicht gemerkt.«
    Die Tür zu den Gemächern des Dogen wurde geöffnet. »Mein Herr wünscht Euch jetzt zu sehen«, verkündete ein livrierter Diener, der sichtlich Schwierigkeiten hatte, einen Ton anzuschlagen, der sich an Freund und Feind gleichermaßen richtete. »Euch beide.«
    Wir erhoben uns, und zu meinem ungläubigen Staunen trat der Herrscher von Florenz zurück, um mir den Vortritt zu lassen.
    Als ich den Raum betrat, bot sich mir ein eigenartiger Anblick. Drei Personen hielten sich darin auf.
    Figura uno: Ludovico Il Moro, noch immer in voller Rüstung, blutbespritzt und geschlagen.
    Figura due : mein Vater, der ohne seine zeremoniellen Gewänder und den corno -Hut wie ein trauriger alter Mann aussah. Und:
    Figura tre: meine Mutter, in Brustharnisch und Reitkleidung,
die auf den ersten Blick wie eine Amazonenkönigin wirkte, aber bei näherem Hinsehen aussah, als ob sie die ganze Nacht durchgeweint hätte. Und viele andere dazu.
    Bei meinem Anblick erhob sie sich halb von ihrem Sitz, als wolle sie zu mir laufen und mich umarmen, aber ein Blick des Dogen hielt sie davon ab. Bewaffnete Wachposten mit dem Kreuz von Genua auf ihren Wappenröcken reihten sich an den Wänden auf, ihre Spieße und Hellebarden glitzerten im Sonnenlicht. Hinter dem
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