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Das Geheimnis Des Frühlings

Das Geheimnis Des Frühlings

Titel: Das Geheimnis Des Frühlings
Autoren: Marina Fiorato
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verhängnisvollen Nacht verloren.
    »Dasselbe wollte ich Euch gerade sagen. Eure Mutter wartet im Palast des Dogen auf Euch.«
    »Meine Mutter?« Seit Bruder Guido aufs Meer hinausgerudert war, hatte ich keinen Gedanken mehr an sie verschwendet.
    »Ja. Sie, Euer Vater und Ludovico Il Moro wurden gefangen genommen und bei Tagesanbruch in die Stadt gebracht. Der Doge hält sie als Geiseln fest, bis sie einen Friedensvertrag unterzeichnen, der just in diesem Moment von seinen Schreibern aufgesetzt wird.«
    »Was ist mit Don Ferrante?«
    »Der ist nach Hause geflohen, als das erste Schiff brannte.«
    »Und Niccolo della Torre?«, fragte ich krächzend.
    »Wer?«
    »Der pisanische Edelmann.«
    Er zuckte die Achseln. »Ich habe nichts von ihm gehört. Warum?«
    »Nicht weiter wichtig.« Ich konnte die Worte nicht aussprechen; die furchtbare Ironie erklären, die darin lag, dass ich, wenn ich mein Leben wieder aufnehmen wollte, den Vetter meiner verlorenen Liebe heiraten musste und jeden Tag daran erinnert werden würde, dass einst eine würdigere Ausgabe dieses Mannes gelebt und mich geliebt hatte. Die Grausamkeit dieses Schicksals traf mich wie ein glühender Pfeil in die Brust. Ich dachte, ich müsste sterben. Wünschte mir, sterben zu dürfen.

    »Wenn Ihr Euch wieder gefasst habt, dann geht zu Eurer Mutter. Ihr wart die Erste, nach der sie gefragt hat, ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken. Ich glaube, sie liebt Euch wirklich. Sie ist eine Löwin, das stimmt, aber Ihr seid das Kind einer Löwin.« Ich spürte, wie er mich auf die Stirn küsste.
    Ich konnte nicht aufblicken. Konnte meinen müden Kopf nicht heben.
    »Gott schütze Euch«, sagte er.
    »Und Euch«, flüsterte ich. Aber er war schon in Richtung des Hafens davongegangen, und der Wind wehte meine Worte davon.
     
    Ich weiß nicht, wie lange ich auf dem kalten Kies saß. Holzplanken und Segeltuchfetzen wurden von der einsetzenden Flut gegen meine Füße gespült. Endlich brach die verräterische Sonne durch die Wolken, trocknete meine Kleider und wärmte den Kies unter meinen Beinen. Es würde ein schöner Tag werden.
    Bald musste ich mich entscheiden, ob ich bleiben und ertrinken oder aufstehen und leben wollte. Ich erhob mich mühsam, und dabei spürte ich ein Kratzen in meinem Mieder - den cartone der Primavera, der mir die Liebe gebracht und wieder genommen hatte. Ich zog ihn heraus, schleuderte ihn so weit wie möglich ins Meer und drehte mich zum Land um, bevor ich sehen konnte, wo er angeschwemmt wurde. Ich wollte das Ding nicht länger haben, aber die Flut verwehrte mir auch diese letzte Geste. Der cartone wurde zu mir zurückgetrieben, schlaff und graubraun wie eine tote Seezunge, und landete auf meinem nassen Schuh. Ich blickte darauf hinab und musste daran denken, dass dies das Letzte war, was er und ich gemeinsam berührt hatten - es war etwas, was wir miteinander geteilt hatten. Vielleicht würde ich es eines Tages wieder über mich bringen, das Bild anzuschauen. Ich rettete es aus der Gischt, bevor das zurückfließende Wasser es mit sich nehmen konnte, wrang es aus wie einen Waschlappen und wandte mich ab, um
zum Palazzo Ducale zurückzugehen, da ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen.
    Meine Möglichkeiten waren beschränkt. Ich konnte bleiben und in den Freudenhäusern von Genua Seeleute vögeln, bis ich zu alt für dieses Gewerbe wurde, oder ich konnte mein Geburtsrecht einfordern, was mir einen schwächlichen finnochio als Ehemann eintragen würde, so wie man sich zugleich mit einem schönen, saftigen Apfel auch einen Wurm einhandelt, oder ich konnte von eigener Hand sterben und Bruder Guido im Leben nach dem Tod wiedersehen. Nur war ich mir nicht sicher, ob ich trotz meiner Klostererziehung überhaupt an ein Leben nach dem Tod glaubte. Und selbst wenn - die Nonnen hatten nicht versäumt, mir zu erklären, dass Selbstmörder geradewegs in die Hölle kamen. Und da Bruder Guido, der wie Christus gestorben war, um andere zu retten, sicherlich im Himmel zu finden sein würde, waren wir dann für alle Ewigkeit getrennt.
    Meine Augen schwammen in Tränen; fast hätte ich den Rückweg nicht mehr gefunden. Ich kam an unzähligen Familien auf dem Weg zur Messe vorbei, die Gott dafür danken wollten, dass sie vor einem furchtbaren Schicksal bewahrt worden waren. Sogar die Glocken klangen freudig hell, als sie die Gläubigen triumphierend in die Kirchen riefen. Ich war der einzige Mensch in den Straßen, dessen Gesicht nicht von einem
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