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Elbenzorn

Elbenzorn

Titel: Elbenzorn
Autoren: Susanne Gerdom
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    E r hatte noch nie zu den zaghaften Naturen gehört. Er war besonnen, ganz sicher kein Hitzkopf, dafür lebte er schon viel zu lange inmitten der Intrigen des Sommerpalastes. Hitzköpfe gelangten in der Elben-Hierarchie nicht allzu weit nach oben. Er hingegen hatte im Laufe seiner vielen Lebensjahre einen bedeutenden Rang erreicht, einen Rang, mit dem die meisten anderen sich zufrieden gegeben hätten. Aber die Vorstellung, am Gipfel seiner höfischen Karriere angelangt zu sein, biss ihn wie ein kleines Tier, raubte ihm den Schlaf und ließ ihn ruhelos und gereizt seinem Tagwerk nachgehen.
    Nach Jahren der Unrast und des Grübelns hatte er sich nun also entschieden, den Schritt zu wagen. Sein Ziel war, zwei Übel gleichzeitig aus der Welt zu schaffen. Er wollte sein Weiterkommen ermöglichen und obendrein den Elben etwas von dem wiedergeben, was sie vor langer Zeit verloren hatten.
    Aber noch stand er am Anfang seines Vorhabens. Und der Weg, den er heute gehen musste, machte ihm Angst. Das Wagnis, das er eingehen musste, war groß und in gewisser Weise unberechenbar. Elben waren nicht so eng an die Vergänglichkeit gefesselt wie andere, kurzlebige und sterbliche Völker. Das hieß aber nicht, dass ein Elbe nicht getötet werden konnte. Seine Lebenszeit war zwar von Natur aus unbegrenzt – aber ein gewaltsamer Tod konnte ein Elbenleben durchaus abrupt beenden. Und diejenigen, die er heute zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht treffen würde, waren die einzigen lebenden Wesen, die ein Elbe zu fürchten gelernt hatte – auch wenn kaum einer ein Zusammentreffen mit den Dunklen lange genug überlebt hatte, um davon zu berichten.
    Er nahm einen langen, tiefen Atemzug und hoffte, es möge nicht einer seiner letzten gewesen sein. Dann betrat er den unterirdischen Raum.
    Es war finster. Das störte ihn gewöhnlich nicht, denn er hatte Nachtaugen, wie alle seines Volkes, und konnte auch in der größten Dunkelheit noch scharf und deutlich sehen. Auch das war etwas, worin die Elben allen anderen Völkern überlegen waren, sogar den unterirdisch lebenden Zwergen – von den Menschen ganz zu schweigen, die in allem jämmerlich waren, selbst in der Leistung ihrer Sinnesorgane.
    Aber in der Finsternis dieses unterirdischen Gewölbes war er so blind wie ein Mensch. Er hob ärgerlich die Hand und ließ einen bläulichen Elbenfunken aufglimmen. Für den Bruchteil eines Augenblicks sah er sich Gesichtern gegenüber, die ihn scharf musterten, ohne dass ihre hellen Augen in dem plötzlichen Licht blinzelten. Dann erlosch das Zauberfeuer und ließ ihn so blind wie zuvor zurück.
    Er erschrak. Elbenfunken gehorchten allein dem Willen ihres Erzeugers, kein Lufthauch, kein fremder, äußerer Einfluss konnte sie ersticken. Hier war ein Zauber am Werk, der die gewöhnliche Elbenmacht überstieg. Er presste die Lippen aufeinander. Auch wenn er blind war – eine Ahnung sagte ihm, dass sieihn sehen konnten, und das ließ sein sonst furchtloses Herz stocken. 
    »Was willst du von uns?«, kam eine Stimme flüsternd aus der undurchdringlichen Dunkelheit.
    »Meine Boten haben es euch gesagt – ihr wisst, was ich will«, erwiderte er beherzter, als er sich fühlte. Seine Stimme grollte durch die Finsternis und weckte ein fernes Echo. »Ich möchte euch einen Handel vorschlagen. Ihr verhelft mir zu dem, was ich will, und dafür gebe ich euch, was ihr euch wünscht.«
    Das Echo wisperte verhallend und verstummte. Eine Weile herrschte Schweigen.
    »Und du glaubst, du wüsstest, was wir uns wünschen?« Der Sprecher, ein anderer als zuvor, klang unverkennbar spöttisch.
    »Ich weiß es nur zu gut«, erwiderte er. »Freiheit. Dass ihr euch wieder im Licht der Sonne bewegen dürft, unter den Goldenen, frei durch die Wälder eurer – unserer Ahnen.« Er holte Luft. »Macht. Und sicher auch Rache. Die kann ich euch als Erstes geben. Rächt euch – ich gebe euch die Gelegenheit dazu.«
    Er hörte zischelnde Stimmen, aber sosehr er sich auch anstrengte – er konnte nicht verstehen, was sie sprachen.
    Endlich hob sich die Stimme eines dritten Sprechers: »Also gut. Wir wollen dir vertrauen. Du willst, dass wir uns um deine Feinde kümmern?«
    Erleichtert schüttelte er den Kopf. Er lebte noch, und mehr als das: Ihm winkte der Erfolg.
    Er straffte seine Schultern und begann zu sprechen: »Es geht mir nicht darum, meine Gegner aus dem Weg zu schaffen. Ich will mehr erreichen, viel mehr. Hört mir also zu …«

    Unter den Elbengardisten galt es als
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