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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoren: Alexander Moszkowski
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zu reden, um einen Grad transzendenter; schon darum, weil ihre Bezeichnungen auf eine Internationalität hinweisen, die der landläufigen Erfahrung widerspricht, weil sie sich in anderen Berufskreisen nicht wiederholt. Das ganze Handwerk der Artisten läßt sich, wenn man will, verdeutschen, und es wird dann für uns richtiger, wahrer werden, so wie der Artist selbst richtiger und wahrer wird, wenn man ihn abschminkt und seiner Flitter entkleidet.
    Die Genüsse der Tafel erscheinen um so verfeinerter, je lebhafter an ihnen die Illusion beteiligt wird. Ja, ihre ganze Einordnung in die Kultur, ihre Bedeutung für die Geselligkeit, ihr Rang im Lebensfest beruhen darauf, daß sie den Stoff unter einer Hülle von Illusion verschleiert. Die rauhen Forderungen der Zeit haben diese Beziehung arg entstellt, das rein Animalische des Essens und Trinkens in den Vordergrund geschoben und die Phantasie auf Hungerkost gesetzt; und man muß heute schon die Erinnerung bemühen, um sich zu vergegenwärtigen, wieviel Kunst und Romantik sich zwischen Suppe und Käse zu entfalten vermag.
    Ich werde wohl kaum in den Verdacht geraten, als wollte ich die Herrlichkeiten des Apicius und Trimalchio wieder heraufbeschwören. Nur das Illusionäre jedes über die elementare Notdurft herausgehobenen Tafelwerkes betone ich, und dieses verknüpft sich allerdings in weit höherem Maße, als die Meisten ahnen, mit den alten Vorbildern. Jedenfalls ist mit den allgemeinen Formeln von Gutschmecken, Besserschmecken und Andersschmecken nichts anzufangen. Das Wesen dieser Genüsse im höheren Sinn genommen, ist der Programmsymphonie zu vergleichen, sie erregen den Geschmack, wie das Gehör, nicht nur durch die nachweisbaren Reize, sondern durch die Ideen, die der Empfänger in sie hineingeheimnist. Sehr viele, vielleicht die meisten Menschen vermögen mit verbundenen Augen nicht zu unterscheiden, ob man ihnen Weißwein oder Rotwein vorsetzt, während ihnen sonst weit über den Farbunterschied hinaus zahllose Abstufungen im Geschmack aufgehen. Aber die Zunge verlangt die beratende Mithilfe nicht nur vom Auge, von der Nase, sondern von jenem sechsten Sinn, der ausschließlich auf Illusion reagiert; dem es nicht gleichgültig ist, zu wissen, wo die Beere wuchs, wie sie heißt und welche Fernwelt sie zum Reifen brachte. Im Namen der Gewächse kann ein Troubadourklang herüberschwingen, oder der Duft aus südlicher Landschaft, irgendwelche Dinge, die mit der Chemie des Stoffes nicht das geringste zu tun haben und doch nicht bedeutungslos sind als Anregung für den Genießenden.
    Eine nicht nur nach Daten geordnete Geschichte der Gastronomie wird in ihr einen Bestandteil aussondern, die Gastrologie, die mit den Mitteln der Einbildungskraft arbeitend Künstlerisches, Jenseitiges, Übersinnliches anstrebt. Vom Hunger und vom Sattwerden ist darin ebensowenig die Rede wie im Tanz von der zweckdienlichen Fortbewegung, wie sie dem Gewühl des Marktes dient. Es ist ein Irrtum, anzunehmen, daß die Alten bloß schlemmen wollten, wenn sie sich Nachtigallenzungen auftragen ließen; nein, »sie schmeckten die ganze Musik dieses Vogels in dessen Singorganen«, und in ihrem Verlangen steckte ein phantastischer Trieb. In der Auster steckt noch heute ein Geheimnis. Wer nur die Substanz analysiert, geht am Reiz vorbei und behält nichts zurück als eine Menge Wasser, einige Prozent phosphorsauren Salzes, etwas Fett, alles zusammen eine fischige Minderwertigkeit. Wenn man die Auster aus der Schale löst, entbartet und sie zu Dutzenden in einer Suppenterine aufträgt, so hat sich an der Substanz nichts geändert; man kann mit der Kelle hineinfahren und sie auslöffeln; aber selbst der Wahrheitsfanatiker, dem es um die Sache zu tun ist, wird sich dafür bedanken; denn so serviert kann man die Austern allenfalls noch essen, etwa wie ein Gericht Pilze, aber nicht im geringsten mehr genießen. Der Schein, das Hantieren mit der Auster und eine hierdurch angeregte bis in den Meeresgrund reichende Verträumtheit, kurz das Außersubstantielle steckt auch in den gastrologischen Bezeichnungen. Ganz sachlich genommen ist die Sauce wirklich nichts anderes als die Tunke, an der Mayonnaise ändert sich nichts, wenn sie sich in Ölbeiguß verwandelt, und ein Chateaubriand bleibt, was es ist, auch wenn es der Wirt Rindsdoppel oder Doppellendenstück nennt. Nur ein leiser Mitklang geht verloren, nämlich an das, was die fremdländischen Bezeichnungen galten, als sie noch unverfolgt auftreten
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