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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoren: Alexander Moszkowski
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prematur in annum – könnte auch für den Leser das richtige Intervall darstellen. Hält das Werk diese Probe aus, dann war es nicht nur würdig, einmal gelesen zu werden, sondern es wird sich nach neun Jahren mit der neunfachen Gewalt einbohren.
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    Zu einer Mechanik der Literatur besitzen wir wenig Material, aber einige Anläufe. Flaubert erklärte: »Nur im Sitzen kann man denken und schreiben«; dagegen Nietzsche: »Das Sitzfleisch ist grade die Sünde wider den heiligen Geist. Nur die ergangenen Gedanken haben Wert.«
    Wer wird daraus eine Regel ableiten wollen? Nietzsches Wandrer- und Schatten-Gedanken konnten nur ergangen, Heines Gedanken in der Matratzengruft nur erlegen, Humboldts Gedanken nur erreist werden. Eine ganze Wissenschaft ist dadurch entstanden, daß Poncelet ihre Grundgedanken buchstäblich »ersaß«, bewegungslos in den Kasematten eines Gefängnisses. Der blinde Homer und der über seinen Kreisen brütende Archimed haben ihre Gedanken wahrscheinlich erhockt und erkauert. Ein künftiges Dichter- und Denkergeschlecht wird vielleicht Gedanken erfliegen. Aber das wird keinen Wesensunterschied bedingen. Ersessene Gedanken können Flügel haben, und erflogene können am Boden kriechen.
    *
     
    Von Dürer : »Ein guter Maler ist inwendig voller Figur.« Der gute Schriftsteller zeigt die nämliche Eigenschaft. Die Stärke seiner Vorstellung offenbart sich im Figürlichen, in der Fülle seiner Vergleiche, im symbolischen Ausdruck. Das Allerbedeutendste, was uns ein Galilei, ein Pascal zu sagen hatte, liegt im Zutagetreten der Figuren, von denen ihr Inwendiges voll war. Nicht nur alles Vergängliche, sondern erst recht alles Erschaffene, alles Dauernde ist ein Gleichnis, kann nur in Gleichnissen ausgesprochen werden, in Figuren der dichtenden Denker.

Der Wert der Illusion
    Man könnte die Frage aufwerfen, ob das Leben ohne Illusion sonderlich lebenswert wäre; und daran anknüpfend, ob einer Sprache die Aufgabe zufiele, die Zahl der Illusionsworte zu vermindern.
    Denn zu Hunderten dienen die Fremdworte allerdings der Illusion, der scheinbaren Erhöhung der Lebenswerte. Sie umspielen die Dinge mit einem Glanz, den keiner für echt hält und den doch jeder zu schätzen weiß, wie alles Symbolische, Allegorische, aus der starren Wirklichkeit herausragende. Grau in grau würde die Welt uns anblicken, wenn wir dahin gelangten, von den Dingen den Schein abzustreifen, nur das Echte übrigzubehalten, die »Dinge an sich«, die uns leere Abstraktionen bleiben. Unser Lebensbedürfnis drängt uns dazu, dieses Grau in grau zu vermeiden und in Anschauungen wie in Worten alles zu versuchen, um uns den farbigen Abglanz des Lebens gegenwärtig zu halten.
    Schon Aeschylos hat es ausgesprochen, und Vischer hat ihm das deutsche Echo verschafft: »Es ist derselbe Prometheus, der den Menschen das Feuer, die Technik, das Selbstbewußtsein, die Vernunft, und der ihnen die Illusion gebracht hat: er gab ihnen die Freude am Augenblick und das Glück der blinden Hoffnung – derselbe , Prometheus, der Vordenkende! Er, der uns das Vordenken gebracht, er hat es auch durch die Phantasie begrenzt, begrenzt aus Vordenken, was sonst folgen würde. Die Illusion ist also ein philosophisches Gut!«
    In jenem Lebensbedürfnis wurzelt alle Kunst, alle Romantik, die von Aposteln der Nüchternheit totgesagt werden kann, ohne jemals zu sterben. Es gibt keinen Nicht-Romantiker, und wenn es einen gäbe, so müßte er seinen Standort an einem Weltpunkt wählen, wohin nicht Licht noch Ton dringt. Wir andern sind Sonnenanbeter, wes Bekenntnis wir sonst sein mögen; im Regenbogen erblicken wir noch etwas anderes als eine prismatische Lichtzerlegung, ein Wald erzählt uns von andern Dingen, als von seinen Kubikmetern Holz, ein Vogellied berührt uns nicht nur mit soundsoviel Schallschwingungen in der Zeiteinheit.
    Kein Zufall, daß das Illusionswort in allem, was schon seinem Wesen nach auf Illusion, als Vortäuschung beruht, so große Geltung erlangt hat. Was ist ein »Theater«? Ein »Schauhaus«, sagt der Kaltverständige, der weit entfernt von jedem Schein nur in der Wesen Tiefe trachtet. Wenn du ins Schauhaus willst, erwidern wir ihm, so geh' in die Leichenkammer, die in gutem Amtsdeutsch Schauhaus genannt wird. Wir gehen, wie die Zeitgenossen des Euripides ins Theater, wohin wir ungeheuer viel Illusion mitbringen, z. B. daß uns ein nur dreiseitig geschlossener Raum als ein vierseitiger erscheint, ganz gegen alle Regeln der starren
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