Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
eine Forderung des inneren Ohres, das hier einen Jambus mit schneidendem, pfeifendem Auslaut wünschte; keinen Daktylus, keinen Trochäus noch Doppeltrochäus, sondern eben einen Ausdruck, »kurz lang«, der wie ein Peitschenknall durch die Luft fährt; der nicht nur ausdrückt, was gemeint ist, sondern als Durchzieher auf dem Objekt eine Striemenspur hinterläßt. Spürt ihr nicht die pfeifende Strähne in »Perfid«? Auch sie bewirkt eine »Nüanksse«, die sich den mitbewerbenden, im Ausdruck sonst ziemlich gleichwertigen Worten entzieht. Und man darf es als ausgemacht hinnehmen, daß die nachgoethesche Bezeichnung »Perfides Albion« (französische Prägung von 1840) niemals geflügelt worden wäre, wenn es nicht im schrillen Grundwort perfid den besonderen Luftschwung gefunden hätte.
Ich gehe noch weiter. Ich kann mir Fälle denken, und brauche sie durchaus nicht erst zu konstruieren, wo das Fremdwort stärker nebelt als das entsprechende Deutschwort und trotzdem mit einem Anspruch der Berechtigung auftritt; nämlich dort, wo der Begriffszerfall im einzelnen Menschen vor sich geht und ihm nur auf kurze Zeit ins Bewußtsein tritt. Er kann dann in die Lage eines Lyrikers geraten, der die huschende Stimmung festhalten möchte und den undeutlichen Ausdruck bevorzugt, weil der klarere ihm zu gegenständlich, also stimmungsfremd erscheint. Auch der Erzähler, der Denker, der Forscher kann im Augenblick einer Niederschrift von diesem Wunsch beherrscht werden, und der nichtpedantische Hörer oder Leser wird sich mit seinem eigenen leichtbeweglichen Empfindungsspiel im Augenblick dem Verlangen anpassen.
Der Ausdruck »Reservationen« in dem vorgenannten Satz ist vielleicht um einen Grad verschwommener als »Vorbehalt« und sicherlich minder scharf als »Gedankenvorbehalt«. Aber der Schreiber, Goethe, dachte wenn auch flüchtig an die besondere Bedeutung der reservatio mentalis, wie sie in den Moralschriften der Jesuiten seit Thomas Sanchez Geltung gewonnen hat. Ein Gedankenvorbehalt kann noch ehrlich gemeint sein, die lateinisch unübersetzte reservatio ist immer heimtückisch, soll es sein nach der ausdrücklichen Begründung jenes Jesuitenpaters. Folglich hat die Reservation, wenn der Schreiber schon auf »perfid« hinauswollte, eine Berechtigungsnote mehr, als jeder andere Ausdruck, da der andere zwar ausreichend scharf an sich ist, aber nicht scharf genug, um die Beziehung zu einer bestimmten Schwurmoral zu vermitteln.
Friedrich Vischer gibt in dem berühmten Tagebuch des Polizeivogtes Einhart die Rechtfertigung der Todesstrafe, in einer Zahlenbegründung, welche mit den Worten schließt »Dies ist eine schlichte und doch gewiß sehr expediente Rechnung.« Expedient in dieser Bedeutung gehört zu den allerseltensten Auslandsworten und wird in den meisten handlichen Nachschlagewerken nicht erwähnt. Gemeint ist: rasch fördernd, beschleunigend, schnell wirksam, und ich habe gar nichts dagegen, wenn einer diese Deutschausdrücke für klarer beschreibend erachtet, als das wenig gebräuchliche Auslandswort. Aber ich versetze mich mit dem Autor in die Seele seines sehr belesenen und gern zitierenden Vogtes, und fühle hindurch, daß er mit der Zusammenfassung der Rechtsgründe ganz unauffällig die Erinnerung an das richtende Fallbeil einfließen lassen will. Das kann er so nebenher, mit dem Fremdwort, da expédier in der Vulgärsprache bedeutet: einen rasch in die andere Welt befördern. Die Rechnung, die der Vogt aufmacht, beschleunigt zwar nur den logischen Schluß, also die Erkenntnis von der Notwendigkeit abschreckender Strafe, aber das Beiwort »expedient« wirft dabei noch ein Blitzlicht auf den Hof, in dem gerade der Verbrecher ins Jenseits expediert wird. Ich bemerke: das Beiwort »schlag-fertig« hätte ähnliches geleistet, aber nicht dasselbe; denn es gibt nur eine Bereitschaft, einen Zustand, nicht aber den Vollzug einer Handlung.
In Nietzsches vielgescholtener »Distanz« steckt auch so ein geheimes, auf Begriffsabspaltung zurückzuführendes Empfindungsspiel. Abstand und Entfernung decken sich tatsächlich mit Distanz in neunundneunzig von hundert Beziehungen, aber gerade auf das letzte Hundertstel kommt es hier an. Weil nämlich die Vorsilbe dis nicht nur das »auseinander«, sondern auch das duo, δύο, das Zweipersönliche enthält, und dazu den weiteren Nebenklang dis, womit der einen Person die hohe Würde zuerkannt wird; Dis patér steht sprachlich dem Diespiter nahe, dem Jupiter. Nietzsche
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