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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoren: Alexander Moszkowski
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diese stützen sich wiederum auf gewichtige Eideshelfer aus der großen Literatur selbst. Und wenn man aus den vorgelegten Zeugnissen das Wesentliche zusammenhält, so scheint allerdings das entsetzliche Urteil »die deutsche Prosa ist die schlechteste der Welt« wie ein unwiderlegbarer Grundsatz dazustehen.
    Dem gegenüber wird ein Bekenner, der das Gegenteil ausruft, nämlich: »Es gibt keine bessere Prosa als die deutsche!« einen recht schweren Stand haben. Und auf diese Schwierigkeit muß ich mich nunmehr einrichten.
    Ich will sie mir nicht leichtherzig verkleinern, etwa durch Verschweigung jener Zeugnisse. Sie im einzelnen aufzuzählen, ist freilich schon wegen ihrer Menge nicht durchführbar, allein den Hauptzeugen fest ins Angesicht zu blicken, erscheint als Pflichtgebot.
    Vorweg möchte ich bemerken: Es wird ein schlimmer Prozeß. Wenn sonst eine Heiligsprechung vorgenommen wurde, so geschah dies in Form eines kanonischen Verfahrens, bei dem ein Vertreter der Kirche als Advocatus diaboli aufzutreten hatte; als ein feindseliger Staatsanwalt, der alle Gegengründe häufte, um die Heiligsprechung zu hintertreiben. Hier nun handelt es sich für mich darum, nicht nur unserem Schrifttum, sondern auch ihrem Ausdrucksmittel, der deutschen Sprache, alle Ehren der Heiligung zuzusprechen; und statt des einen treten sie zu Dutzenden an den Gerichtstisch, die Teufelsadvokaten, von denen ein einziger ausreicht, um die Angelegenheit zu einer causa finita zu machen. Sollte ich den Prozeß vielleicht schon verloren haben, noch bevor ich anfange zu plädieren?
    Fast sieht es so aus. Denn der erste Gegenadvokat heißt Goethe! und der geht nicht zaghaft vor; er begnügt sich nicht mit einer gerichtsrednerischen Wendung, nein er schwingt sich aufs Flügelroß und reitet einen metrischen Sturmangriff gegen das Heiligzusprechende:
»Nur ein einzig Talent bracht' ich der Meisterschaft nah',
Deutsch zu schreiben. Und so verderb' ich unglücklicher Dichter
In dem schlechtesten Stoff leider nun Leben und Kunst.«
     
    So steht es in den Venetianischen Epigrammen, so steht es in Stein gemeißelt auf den Tafeln der Kunstgeschichte. Man weiß, wie Goethe im allgemeinen über seine Hervorbringungen dachte; ungefähr so wie wir, die wir keinen stärkeren Beweis für die Macht und Pracht unserer Sprache kennen als eben ihn. Und dennoch!
    Mit der harten Tatsache muß man sich zunächst abfinden. Es hätte keinen Zweck, an den venetianischen Worten herumzuklauben, und wir würden uns selbst nur Sand in die Augen streuen, wenn wir etwa versuchten, in jene Verse etwas hinein-, aus ihnen etwas herauszuklügeln, woran ihr Urheber gar nicht gedacht hat; zumal er selbst, ebenfalls in diesen Epigrammen, mit der schärfsten Eindeutigkeit feststellt, dem Schicksal wäre es gelungen, aus ihm einen Dichter zu bilden,
»Hätte die Sprache sich nicht unüberwindlich gezeigt.«
     
    Also klipp und klar: die Sprache, der unbildsame Stoff, ist schuld, daß er sich dazu verurteilt fühlte, Leben und Kunst zu verderben, die Grundabsicht seines Schicksals zu vereiteln. Und wenn nach eigenem Geständnis nicht einmal Goethes Fähigkeit ausreichte, um die Widerstände des spröden Stoffes zu überwinden, wessen dann sonst? dürfen wir überhaupt noch von olympischen Höhen unseres Schrifttums reden, wenn selbst er ein verunglückter Dichter blieb, ein verdorbener Verderber?
    Hier liegt auch ein Gutachten von Lessing vor, nicht so selbstklägerisch gefaßt, aber doch deutlich genug. Er bekundet, daß er seinen Laokoon ursprünglich in französischer Sprache habe schreiben wollen, da ihn, gegenüber den Fähigkeiten der deutschen, bohrendes Mißtrauen erfaßt hatte. Lessings Zweifel spricht Bände, allein, so möchten wir schon hier einschalten, der eine Band des deutschen Laokoon spricht auch, und zwar eine Sprache für sich. Als nächster Ankläger tritt Leibniz auf, außer zeitlicher Reihenfolge und dazu mit geringerer Beglaubigung; denn für das beste und tiefste, was er zu sagen hatte, brauchte er weder Deutsch noch sonst eine Sprache der Kunst und des Umgangs, sondern die abkürzenden Zeichen der Mathematik. Aber wenn die Gleichung »Denken gleich Sprechen« zu Recht besteht, so wird der Erkenntnistheoretiker Leibniz auch in unserer Frage mit gebührendem Respekt anzuhören sein. Seine Kundgebung klingt nicht sehr ermutigend für den Widerpart. Er mißt das deutsche Schrifttum am französischen mit dem Ergebnis: »Was oft bei uns für wohlgeschrieben geachtet
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