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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoren: Alexander Moszkowski
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die Menschensprache, außer Verfolgung gesetzt wird, so bleibt doch ein Teil von ihr, das Deutsche, um so schärfer belastet auf der Sünderbank.
    Ein Teil von ihr? Ist denn das richtig und die Annahme eines Teilverhältnisses überhaupt zulässig? Ich glaube, wir täten gut, diese mechanistische Auffassung ein für allemal auszuschalten. Die Menschensprache zerfällt nicht in Nationalsprachen und setzt sich nicht aus ihnen zusammen; ebensowenig wie sie in Konsonanten und Vokale oder in Formenlehre und Syntax zerfällt. Nein, alle Kultursprachen sind nur Profile ein und derselben Sprache, unablösbare Ansichten ein und desselben organischen Körpers, deren Verschiedenheit nicht auf Gegensätzen in sich, sondern auf unserer Stellung zum Gesamtkörper beruht. Schließlich kann Einer so recht doch nur in einer Sprache denken und dichten, aber das geographische Grenzmaß, an das er gebunden bleibt, verkürzt nicht die Unendlichkeit dessen, was ihm die eine Sprache öffnet; wie ja auch im Sinne Michelangelos »ein einzelner Marmorblock« schon alle möglichen Bildnererfindungen umschließt, in der gleichen Vollkommenheit und so restlos wie alle Marmorbrüche der Welt.
    Aber man kann sogar, ohne aus dem Beweis zu fallen, den Gegnern ein Zugeständnis machen, dergestalt, daß man von Sprache zu Sprache Unterschiede und Gegensätze zugibt. Denn darauf wollen doch die Meisten hinaus, wenn sie die deutsche Prosa mit ihren Rügen verfolgen. Wir wollen also, ohne uns darauf festzulegen und nur für eine kurze Strecke der Betrachtung, den Teilbegriff annehmen: die Menschensprache soll dementsprechend wie ein Reich in Provinzen zerfallen, und die Erfahrung soll gezeigt haben, daß viele Gedanken, Empfindungen, Zusammenhänge in anderen Reichsteilen besser, eindringlicher und vor allem reiner dargestellt werden, als in der deutschen Provinz.
    Da die Sprache etwas Tönendes ist, so können wir sie zwanglos mit anderen Klangerscheinungen in Vergleich setzen, am einfachsten mit der Musik selbst, mit dem Reich der Töne, das für alle jemals denkbare musikalische Gestaltung die notwendige und hinreichende Bedingung gibt. Dieses Universalreich mit seinen wahrnehmbaren Tonschwingungen vom tiefsten Baß bis zum höchsten Diskant entspricht in seinem unermeßlichen Ausdrucksreichtum der allgemeinen Menschensprache.
    Aus diesem Reich greife ich nunmehr im Sinne des Teilbegriffs eine Provinz heraus, sagen wir eine Oktave, die fortan unerbittlich begrenzt als das musikalische Ausdrucksgelände von einer engeren Menschengemeinschaft bestellt werden soll.
    Geometrisch genommen wäre das Feld höchstens auf den achten Teil zurückgegangen, aber keine Berechnung reicht aus, um festzustellen, wieviel kombinatorische Möglichkeiten dabei verlorengegangen sind. Unzählbaren Milliarden von Anordnungen im Gesamtreich stehen nur Reste gegenüber, die vergleichsweis zum Rang einer Dürftigkeit herabsinken.
    Aber diese Reste dürfen nicht unterschätzt werden, und bei einiger Überlegung im Zuge der musikalischen Logik begreift man, daß sie abermals eine Unendlichkeit darstellen.
    Jene Provinz, die eine Oktave, bietet nämlich ein verkleinertes Abbild des Ganzen und enthält, obschon mit sehr verkümmertem Wirkungsgrad, doch im Wesen alle Tongedanken, die in Motiv, Melodie, Modulation, selbst im Kontrapunkt auf der breiten Fläche aller acht Oktaven entwickelt werden können.
    Denkbar erscheint ein Musiker, dessen gesamte Gehöranlage auf so engen Bereich eingestellt wäre; der könnte die gesamte Musik in der Spanne einer Oktave erleben. Und im Grunde sind wir alle solche Musiker mit nur wenig erweitertem Empfindungsbereich. Wenn wir uns irgendwelche Tongebilde in der Erinnerung vergegenwärtigen, so wiederholt unser inneres Singorgan die Schwingungen in einem Tonfeld, das nur wenig über eine Oktave hinaus geht, die Breite zweier Oktaven wohl niemals erreicht. Wir projizieren es innerlich auf ein schmales Schwingefeld und können dabei doch alle Schönheiten eines großen Musikwerkes in der bloßen Vorstellung auskosten.
    Der Tonoktave entspricht in unserem Vergleich die Sprachprovinz. Und wir schließen: Trotz der durch scharfe Grenzen bedingten Enge bietet die Provinz, die Einzelsprache, alle Möglichkeit des Gedanken- und Empfindungsausdrucks, so gut wie alle Sprachen zusammengenommen; jede einzelne gibt ein Abbild der Weltrede und der Weltliteratur. Als Nebenschluß ergibt sich ferner, daß es nicht angeht, einer Provinz vor der anderen den
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