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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoren: Alexander Moszkowski
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Vorrang zuzugestehen. Die Oktaven sind gleichwertig, möge man sie auf Klang oder auf Rede beziehen. Man könnte vielleicht sagen, daß sich die deutsche Sprachoktave in der Baßlage, die des Franzosen oder Italieners in der Tenorlage befindet; wobei wir natürlich den Begriff der Tonhöhe nicht rein musikalisch, sondern als ein Merkmal des Ausdrucks überhaupt zu nehmen hätten. Aber das Tiefer oder Höher entscheidet nicht über den Wert, der vielmehr nur davon abhängt, was innerhalb der Oktave oder der Provinz vorgeht, was in ihr getönt, gedacht, geformt, ausgedrückt wird. Und das hängt wesentlich von den Meistern ab, die sich in ihr betätigen. Die Möglichkeiten für ihr Wirken sind überall dieselben, überall unendlich reich, und niemals kann es an der Einzelsprache liegen, wenn der Former in Verlegenheit gerät. Und wenn solch ein Former, wie etwa Leibniz oder Friedrich der Große, sich lieber auf Französisch ausdrückte, so lag das nicht am Deutsch ihrer Zeit, sondern daran, daß sie nicht imstande waren, ihr Ohr auf die Klangstufe dieser deutschen Oktave einzustellen.
    Da weht ein Einwand herüber aus dem Munde eines Deutschmeisters der jüngsten Tage. Er will das musikalische Gleichnis zwar nicht rundweg ablehnen, aber ich soll es nach anderer Richtung ausbauen: nicht nach Tonbereichen, sondern nach Instrumenten sei das Reich an die Nationen verteilt, und das deutsche Instrument sei entsetzlich verstimmt; wie ein Klavier, auf dem Stümper ohne Feingefühl des Anschlags allzulange getrommelt und mit den Fäusten geboxt haben.
    Merkst du denn nicht den Unterschied? so ruft mir der Deutschmeister entgegen; hörst du nicht, wie rein das französische Klavier klingt, wie verdorben und verludert das deutsche? und wenn du es hörst, so vernimmst du eben dasselbe, was uns peinigt und uns den Notschrei erpreßt, die deutsche Prosa sei die schlechteste der Welt. Nicht das Deutsch in seiner Urgestalt meinen wir, sondern den Zustand, in den es geraten, müssen wir bejammern; wie ihn schon der alte Philander bejammerte, der die bösen Teutschen auspeutschen wollte, weil sie ihre Muttersprache so verschindluderten, mit Welschworten verschmuddelten. Soll die deutsche Sprache nicht auf den botokudischen, hottentottischen Tiefstand der Unkultur herabsinken, so muß erst der Dreck aus dem Instrument herausgeblasen werden; dann wollen wir neue Klangsaiten einziehen, das Tastwerk richten, vor allem frisch stimmen und endlich versuchen, ob sich aus dem geretteten Werkzeug eine verbesserte Prosa herauskonzertieren läßt.
    Wiederum schrecke ich vor einem Zugeständnis nicht zurück, und ohne Umschweif bestätige ich, daß an Reinheit der Stimmung unser Instrument von den anderen Kultursprachen übertroffen wird.
    Ich erkläre aber, wie vorher, als wir von Höhe und Tiefe sprachen, daß auch die Reinheit und Unreinheit der Stimmung nicht das Geringste über den Wert entscheidet; und zwar aus demselben Erkenntnisgrunde: entscheidend bleibt nur das, was in den Klangbereichen vorgeht, wie der Geist die Klänge zu Gestaltungen fügt. Setzt einen Beethoven an das verstimmteste Spinett, und er vermag eine Eroica hervorzubringen; und in der Wiedergabe durch die elendeste Kapelle wird sie uns noch mehr zu sagen haben, als eine wasserklare Nichtigkeit in der Wiedergabe durch ein Glanzorchester.
    Ja, die Reinheit an sich ist noch keineswegs höchstes Gut und unverrückbare Lebensbedingung der Kunst, nicht einmal in klanglicher Hinsicht! Dem Musiker ist es bekannt, daß jede gute, brauchbare Stimmung nur durch Preisgabe der Reinheit zu gewinnen ist. Unsere gesamte Musik, soweit sie es mit gebundener Intonation zu tun hat, verlangt mit Notwendigkeit die sogenannte »Temperatur«, das heißt ein Tonsystem, das die akustische Reinheit in einem merklichen Grade opfert. Wer die absolute Reinheit durchsetzen will, der müßte auch die Obertöne und damit die Klangfarbe verbannen, mit dem Ergebnis, daß alle Tonwirkung sich bis ins äußerste verlangweiligen würde. Wir besitzen ein Instrument, das die Stellung des Puristen unter den Tonerzeugern behauptet: es ist die Stimmgabel ; rein im höchsten Grade, fast obertonfrei, erweist sie ihre vollkommene Unfähigkeit für künstlerische Betätigung. Von hier aus verfolge man die Parallele zwischen der Tonkunst und der Sprache, die gleichermaßen mit ihren Reizen an Obertönen, Schwebungen und Klangfarben hängen; und man wird erkennen, daß, ganz vorsichtig ausgedrückt, mit der Forderung nach
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