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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoren: Alexander Moszkowski
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gemeinsam ist; aber es gibt keine zwei Menschen mit gleichem Horizont, jeder ist der Mittelpunkt seines eigenen.«
    Diese geistreiche Betrachtung läßt sich nach mancher Richtung ausfolgern. Man muß schon ein tüchtig Stück emporsteigen, um den Sprachhorizont erheblich auszuweiten; wogegen er rapide zusammenschrumpft, wenn man den Augenpunkt senkt. Und der Horizont wird Null, sobald der Blick nur noch an der Scholle herumsucht.
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    Von Schopenhauer : »In der Literatur ist das Schlechte nicht nur unnütz, sondern positiv verderblich.« Wem verderblich? der Literatur? das dürfte schwer zu beweisen sein. Nur zwei Annahmen sind möglich: Entweder bleibt es wirkungslos, – und das ist das Schicksal der ungeheuren Mehrheit, denn »wer nennt geschrieben das, was ungelesen bleibt?« – dann kann es auch nichts sonderlich verderben. Oder es wirkt, dann ruft nach mechanischem Grundgesetz die actio eine reactio hervor. Gesetzt, der Macchiavell war schädlich, so verdanken wir ihm den Antimacchiavell. Ohne die wirkende Kraft der elenden Ritterromane wäre Cervantes' Don Quixote nicht möglich gewesen. Und auf wieviele Seiten herrlichsten Schopenhauers müßten wir verzichten, wenn die Verderblichkeiten der Hegelei im Schrifttum nicht vorangegangen wären!
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    Wenn Berlioz sagt: ich will mich nicht unterhalten, ich will das Fieber kriegen! so meint er die Musik; und wenn wir ihm das Bekenntnis an dieser Stelle nachsprechen, so meinen wir die Literatur. Erfüllt ein Werk des Schrifttums nicht die Bedingung, den Leser wenigstens an einer Stelle in Fieberwallung zu versetzen, so hätte sich der Leser die Bekanntschaft mit diesem Werk ersparen können. Ob der Anlaß zum gesteigerten Puls vom Herzen ausgeht oder vom Kopf, das ist gleichgültig. Die Innervation soll vorhanden sein, und der Knacks soll sich einstellen. Ist der Leser selbst Schriftsteller, so muß ihn im Anlauf des Fiebers ein Gemisch von Freude und Verzweiflung überfallen: der Freude darüber, daß ein anderer so etwas gekonnt, und der Verzweiflung, daß er, der Leser, das niemals können wird.
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    Von Rückert:
»Du fragest, was du sollst, was nicht in Verse bringen?
Was dir in Prosa nicht zu fassen will gelingen.
Verloren ist die Kunst, in Versen vorzutragen,
Was du gefälliger in Prosa könntest sagen.«
     
    Der weise Brahmane könnte diese Weisheit gegen Rückert selbst ausspielen, dessen vorstehender Gedanke sich ebensogut in Prosa sagen läßt. Und gegen die Gedankenpoesie, überhaupt, gegen nahezu den ganzen Rückert und drei Viertel vom Schiller. Aber Rückert legt den Ton nicht auf die Gleichwertigkeit des Inhalts, sondern auf das Gefällige. Und er hätte mit allem Recht ergänzen können:
Verloren ist die Kunst, in Prosa vorzutragen,
Was du gefälliger in Versen könntest sagen.
     
    Cicero sagte, nach einer von Seneca zitierten Stelle: »Wenn ich auch das Alter zweier Menschen leben sollte, so würde ich mir doch nicht die Zeit nehmen, die lyrischen Dichter zu studieren.« Diese Ablehnung kann nur den Gefühlspoeten gegolten haben, die sich seitdem so fruchtbar vermehrten und später unserem Hebbel den Ruf entlockten: »Was noch nicht einmal Gedanke geworden, was Vorstellung geblieben, gilt für Anschauung!.. Wir haben jetzt mehr als ein Schock Poeten, deren ganze Poesie auf ihrem Denkunvermögen beruht.«
    Hebbels Anschauung war hier zweifellos eine sehr niedrige. Sie wäre höher gewesen, wenn er von zwanzig Schock gesprochen hätte. Aber die nichtdenkenden Dichter sind gar nicht auf den Beifall der Denker angewiesen. Sie erringen den höchsten menschlichen Wert, das Glück, wenn auch nicht in der Literatur, so doch in ihrer persönlichen Empfindung. Und sie können sich dabei auf Sophokles berufen, der gesagt hat: »Im Nichtsdenken liegt des Lebens Glückseligkeit!«
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    Jean Paul sagt: »Ein Buch, das nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, ist auch nicht würdig, daß man's einmal liest.« Diese Empfehlung wird zur Forderung verschärft durch Schopenhauer : »Jedes irgend wichtige Werk soll man sogleich zweimal lesen.«
    Das »zweimal« in allen Ehren, aber das »sogleich« ist vom Übel. Es erinnert an das Vorgehen des Hans von Bülow, der die Neunte Symphonie an einem Abend zweimal aufführte und damit am Empfänger eine unzulässige Belastungsprobe ausführte. Die Zeitpause, die man dazwischen legen soll, ist eben so wichtig wie das Werk selbst. Die neunjährige Pause des Bedenkens, die Horaz dem Autor anrät – nonumque
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