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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Autoren: Alexander Moszkowski
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Wahrheit. Wir hören einen ungebildeten Schweizer Bauern namens Melchthal in Versen deklamieren, wie man sie nur auf dem Parnaß spricht, und wir zittern für das Leben eines Knaben aus Anlaß eines Apfels, der sich mit einem nicht abgeschossenen Pfeil zu einer Attrappe verbindet.
    In dieser Verfassung sind uns zahllose ursprünglich fremdländische Bezeichnungen willkommen, eben weil sie eine Lautspur des Fremden, des Abseitigen, des nicht auf der grundbürgerlichen Heerstraße Gelegenen aufzeigen. Wir wollen eine Oper hören und nicht ein Singwerk, in einer Prosceniumsloge sitzen und nicht in einer Vorderlaube, uns an einem Tenor begeistern und nicht an einer Hochstimme. Ein Orchester kommt unserem Illusionsdrang besser entgegen als eine Menge von Spielleuten, ein Ballett besser als ein Schautanz, eine Primadonna besser als eine erste Sängerin, und wir rufen bravo! bravo!, um nicht mit wacker! wacker! aus der Illusion zu fallen.
    Die Höhe und Tiefe der Erbauung oder des Vergnügens bedingt dabei keinen Unterschied. Ob wir uns einem Oratorium, einem Requiem, einer Kantate hingeben oder uns bei kinematographischen Künsten zerstreuen, – das fremdländische Wort steht der Illusionslage durchgängig um eine Gradstufe näher. Gewiß, wir können »Kientopp« sagen oder auch »Flimmerkiste«; aber wir begeben uns damit auf den Weg einer verulkenden Kritik und versauern uns selbst absichtsvoll eine Erregung, die der Kinematograph und sogar noch das Kino hervorzurufen vermag.
    In einem Etablissement glühen Lampions und bengalische Feuer, Raketen explodieren, Transparente erscheinen, Karussels wirbeln, neben der fontaine lumineuse lockt eine Tombola unter elektrischen Guirlanden, das ganze nennt sich Italienische Nacht. Wir wissen ganz gut, daß dies bengalische Feuer nicht aus Bengalen, sondern aus der Ackerstraße stammt, daß es Springwasser beleuchtet, und daß die ganze Veranstaltung ebenso treffend eine Hinterpommersche Nacht genannt werden könnte. Es ist also Mumpitz. Aber da wandeln hunderte von kleinen Leuten, in deren Unterbewußtsein traumhaft etwas lebt, was mit der brutalen Formel des Mumpitz nicht abgetan wird. In ihnen glimmt ein Willensrest, der unbeeinflußt vom Verstande sein Feuerchen aus der groben Täuschung bezieht. Was sie umfängt, ist doch nicht ganz der graue Werkeltag, sondern eine Art von Maskerade, ein winziger Ausschnitt aus dem Karneval des Lebens, in dem die Dinge nicht genau das bedeuten, was sie sind, sondern was wir in sie hineinlegen. Auf Augenblicke empfinden sie die Nacht wirklich als eine exotische, in die Versatzstücke von Pappe träumen sie etwas Fernes, Ersehntes hinein; so plump die Suggestion auch angelegt sein mag, sie bleibt nicht wirkungslos, und in ihr stellt sich auch die Wortempfänglichkeit williger ein auf Lampions, Raketen und Karussels, als auf Lämpchen, Steilfeuer und Ringelbuden.
    Die Welt der Artisten, welche die Varietés und Zirkusse bevölkern, zeigt die Vereinigung von Internationalität und Illusion in vollkommener Verschlingung. Und wer möchte diese Welt missen, in der Kraft, Geschicklichkeit, Mut und stürmischer Humor Kunsterscheinungen ermöglichen, die im Punkte der Vollendung alles sonst erlebte übertreffen. Wieviel Lobredner hat sie unter den Höchstentwickelten gefunden, eben weil sie sich so ganz außerhalb der gewohnten Welt der Trägheit, der Schwergesetze, der Kausalität und des Kampfes mit dem Objekt stellt!
    Nur ein Illusionsräuber wird diese Welt um das Illusionswort bringen wollen, das zu ihrem wirkenden Rüstzeug gehört wie ihr berufliches Blendwerk. Um Artisten handelt es sich, nicht um Künstler oder Kunstmacher, ihr Platz ist das Varieté und der Zirkus, nicht der Tingeltangel, das Brettl, die Kleinbühne, die Reithalle; und der Jongleur, nicht der Gaukler, sei er bürgerlich ein Schulze, Piefke oder Cohn, soll Cinquevalli, Kara, Spadoni heißen. Der Akrobat, der einen Originalakt mit einem Saltomortale zeigt, entfernt uns auf Minuten weiter von der Planimetrie des Daseins als der Hochturner mit dem Todessprung einer Urhandlung. Die Dompteuse, der Star in einer Monumentalplastik, die Colombine in einer burlesken Commedia dell'arte, der Excentric, der looping-the-loop-Fahrer, der Soubretten-Parodist, der Illusionist einer Fata Morgana, der Voltigeur, der Parforcereiter, die Pirouettistin stehen dem Märchen, dem Unwahrscheinlichen um einen Grad näher als ihre irgendwie übersetzten Berufsbrüder und -schwestern, sind, um mit Kant
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