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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel
Autoren: Yoko Ogawa
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trocken und klar. Die Schatten, die der Gartenpavillon und die Bäume in den Garten warfen, hatten sich ebenfalls verändert. Obwohl es am Himmel noch hell war, war bereits der Mond aufgegangen, und die Wolken am Himmel änderten ständig ihre Form. Die Dunkelheit kroch zunächst um die Baumstämme herum, aber bis zum Anbruch der Nacht war es dann noch eine Weile hin. Zum Glück, denn der Abend war unsere liebste Tageszeit.
    Der Professor legte das Bügelbrett über die Sessellehnen. So wie er mit dem Stromkabel herumhantierte und die Temperatur einstellte, konnte man darauf schließen, dass er wusste, was er tat. Er breitete das Tischtuch aus und faltete es drei Mal längs und drei Mal quer, sodass er sechzehn Rechtecke erhielt. Dann befeuchtete er jede Lage mit dem Zerstäuber, hielt seine Hand dicht vor das Eisen, um zu prüfen, ob es nicht zu heiß war, und presste es dann behutsam auf das obere Rechteck, um das feine Gewebe nicht zu beschädigen. Das Bügeleisen glitt in einem ganz bestimmten Rhythmus über das Brett. Mit gerunzelter Stirn und bebenden Nasenflügeln versuchte der Professor, die Falten seinem Willen gefügig zu machen. Er ging präzise und bestimmt ans Werk, aber auch mit liebevoller Hingabe. Das Bügeln schien einer Art Logik zu folgen, so wie er das Eisen in gleichmäßigem Tempo bewegte, um mit dem geringsten Aufwand das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Die Anmut und Schönheit mathematischer Beweise, also das, wonach der Professor tagtäglich suchte, fand sich hier auf einem alten Bügelbrett wieder.
    Root und ich mussten zugeben, dass es keinen Geeigneteren als den Professor gab, um diese Arbeit zu verrichten. Insbesondere, da es sich um ein Gewebe aus feiner Spitze handelte.
    Wir arbeiteten so nah nebeneinander, dass man den anderen atmen hörte, und es bereitete uns große Freude, zu sehen, wie wir Schritt für Schritt vorankamen. Der Bratenduft aus dem Ofen, das Tröpfeln des nassen Aufnehmers, der Dampf, der vom Bügelbrett aufstieg – all das umgab uns wie ein schützender Kokon.
    »Heute spielen die Tigers im Kôshien-Stadion gegen Yakult«, sagte Root, der von uns dreien am aufgeregtesten war. »Wenn sie gewinnen, sind sie Erster.«
    »Glaubst du, dass sie es schaffen?« fragte ich zurück, während ich die Suppe abschmeckte und nach dem Braten schaute.
    »Aber natürlich schaffen sie das«, warf der Professor ein und klang dabei ungewöhnlich überzeugt.
    »Schaut mal nach draußen. Der Tag bringt Glück, wenn an der unteren Seite des ersten Sterns am Himmel ein Stückchen fehlt. Die Tigers werden heute gewinnen.«
    »Ach, an diese Sterne glaube ich nicht. Das ist doch Sport. Um zu gewinnen, braucht man gute Spieler und Glück.«
    »Kcülgdnu.«
    »Daran ändern auch verdrehte Wörter nichts!«
    Der Professor ließ sich von Roots Hänseleien nicht irritieren, bis er auch das letzte Rechteck ordentlich gebügelt hatte. Root kroch unter den Esstisch und wischte die Stellen sauber, wo man nur schwer hinkam – wie die Stuhlbeine und die Unterseite der Tischplatte. Ich schaute im Küchenschrank nach, ob ich passende Teller für das Roastbeef fand. Immer wenn ich aus dem Fenster blickte, hatte ich den Eindruck, dass es mit jedem Mal ein bisschen dunkler wurde.
    Gerade als wir uns an den Tisch setzen und mit unserer Feier beginnen wollten, gab es ein Problem.
    Eigentlich war es nur ein sehr kleines Problem. Ein Problem, über das man sich gar nicht aufregen musste. Keiner von uns dreien war dafür verantwortlich. Wenn überhaupt jemand schuld war, dann die Aushilfe in der Konditorei. Sie hatte nämlich vergessen, die Kerzen mit in den Karton zu legen.
    Es war keine imposante Torte, auf die elf Kerzen gepasst hätten, weshalb ich nach einer großen und einer kleinen Kerze gefragt hatte, aber als wir die Box aus dem Kühlschrank holten, waren sie nicht darin.
    »Eine Geburtstagstorte ohne Kerzen ist ein Unding! Man kann sich doch nur etwas wünschen, wenn man Kerzen ausbläst.«
    Der Professor regte sich mehr darüber auf als das Geburtstagskind selbst.
    »Ich laufe schnell zur Konditorei und hole welche«, sagte ich und wollte schon meine Schürze abbinden, als mich Root zurückhielt.
    »Lass mich das machen. Ich kann schneller laufen.«
    Kaum hatte er zu Ende gesprochen, war er bereits zur Tür hinausgeflitzt.
    Die Konditorei lag in einer Einkaufsstraße, nicht weit entfernt vom Haus des Professors, und noch war es draußen nicht völlig dunkel. Es war also nichts dabei. Ich schloss
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