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Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Das Geheimnis der Eulerschen Formel

Titel: Das Geheimnis der Eulerschen Formel
Autoren: Yoko Ogawa
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Ende der Saison auf dem zweiten Platz, zwei Punkte hinter Yakult.
    Root war bitter enttäuscht, und es dauerte Jahre, bis er verstand, welch große Leistung das Team trotz allem in dieser Saison erbracht hatte. Nach 1993 erlebten die Tigers eine schlechte Saison nach der anderen und stiegen schließlich zum ersten Mal seit ihrem Bestehen in die Zweite Liga ab. Sie hatten mehrfach den Trainer gewechselt und viele wichtige Spieler verloren wie Shinjo, der fortan in Amerika spielte, und Minoru Minayama, der verstarb.
    Wenn ich heute daran zurückdenke, dann war das Spiel gegen Yakult am 11. September 1992 der entscheidende Wendepunkt gewesen. Hätten sie an jenem Tag gewonnen, wären sie Meister geworden und hätten in der folgenden Saison das Team zusammenhalten können.
    Als wir nach der Feier beim Professor wieder zu Hause waren, hatten wir sofort das Radio eingeschaltet. Kurz vor Spielende stand es 3 : 3. Root schlief irgendwann ein, da sich die Verlängerung bis tief in die Nacht zog, aber ich hörte bis zum Schluss zu.
    In der zweiten Hälfte des neunten Durchgangs waren zwei Spieler ausgeschieden, und ein dritter befand sich auf dem ersten Mal. Dann schlug Yagi einen Homerun, der aber vom Schiedsrichter für ungültig erklärt wurde, weil der Ball angeblich die Spielfeldmarkierung berührt hatte. Die Tigers protestierten, und das Spiel wurde für siebenunddreißig Minuten unterbrochen, weil die Trainer sich mit dem Schiedsrichter stritten. Es war bereits halb elf, als die Partie fortgesetzt wurde. Aber die Tigers schafften es nicht zu punkten, sodass das Spiel in die Verlängerung ging.
    Während ich der Übertragung lauschte, musste ich an den Professor denken. Ich hatte seinen Zettel, auf dem die Eulersche Formel stand, in der Hand und warf immer wieder einen Blick darauf.
    Die Tür zu Roots Zimmer hatte ich halb offen gelassen, um sicherzugehen, dass er ruhig schlief. Von meinem Platz aus sah ich den Baseballhandschuh, den ihm der Professor geschenkt hatte, neben seinem Kopfkissen liegen. Es war kein Spielzeug für Kinder zum Spielen, sondern ein richtiger Fanghandschuh aus Leder, zertifiziert vom Verband für Jugend-Baseball.
    Nachdem Root die Kerzen ausgeblasen hatte, schaltete ich das Licht wieder ein. In diesem Moment bemerkte der Professor, dass ein Zettel von seinem Anzug heruntergefallen war. Was für ein glücklicher Zufall, denn so konnte er sich daran erinnern, wo er Roots Geschenk versteckt hatte.
    Mir fiel sofort auf, dass der Professor nicht gewohnt war, Geschenke zu überreichen. Zögerlich hielt er das Päckchen hin, als würde ihm der Beschenkte leidtun. Selbst als Root ihm vor Freude um den Hals fiel und ihm beinahe einen Kuss auf die Wange gedrückt hätte, stand er noch unsicher da und wusste nicht, ob er die richtige Wahl getroffen hatte oder nicht.
    Root wollte den Handschuh dann nicht mehr ausziehen. Er trug ihn an der linken Hand, während er seine rechte hin und wieder zur Faust ballte und in den Handschuh schlug. Wenn ich nichts gesagt hätte, hätte er ihn sogar beim Essen getragen.
    Später erfuhr ich, dass die Witwe ihn für den Professor in einem Sportartikelgeschäft besorgt hatte. Er hatte ihr aufgetragen, einen Handschuh zu besorgen, mit dem man jeden Ball fing.
    An jenem Abend taten Root und ich beim Essen so, als wäre nichts passiert. Wir machten kein großes Aufheben darum, dass der Professor uns in weniger als zehn Minuten vergessen hatte. Die Feier fand trotzdem statt, so wie wir es geplant hatten. Schließlich hatten wir uns längst an den Gedächtnisverlust des Professors gewöhnt. Wir beide hatten beschlossen, ihn in unvorhergesehenen Situationen nicht unnötig aufzuregen. Wenn wir auf unsere Erfahrung zurückgriffen, konnten wir jede Situation retten.
    Und dennoch herrschte an jenem Abend eine unheilvolle Stimmung, die sich ausbreitete wie der Fleck auf dem Tischtuch. Je mehr ich mir einredete, alles sei in Ordnung, desto unruhiger wurde ich.
    Aber ich ließ mir nichts anmerken, um unser Fest nicht zu verderben. Schon allein aus Respekt vor dem Professor, der für seine großartigen Leistungen einen Preis gewonnen hatte. Wir aßen nach Herzenslust, lachten ausgelassen und sprachen über Primzahlen, Enatsu und das Spiel der Tigers.
    Der Professor freute sich unbändig, dem elften Geburtstag eines kleinen Jungen beiwohnen zu können. Was mir wieder ins Bewusstsein rief, wie wichtig der Tag, an dem Root geboren wurde, auch in meinem Leben war.
    Mein Zeigefinger zog die
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